Loading...
You are here:  Home  >  Kunst und Kultur  >  Current Article

Am Anfang steht die Erfindungskraft.

By   /  1. Dezember 2015  /  No Comments

    Print       Email

Wissensproduktion, Strom des Werdens, die Kunst der Übersetzung: Elisabeth Lacher verläuft sich auf transversal.at und trifft in Linz Andrea Hummer, eine der Mitarbeiter_innen und Herausgeber_innen von transversal texts.

Grafik transversal texts

Grafik transversal texts

„Die Publikationsindustrie ist in einer fundamentalen Krise. In ihren letzten Stunden beginnt sie, um sich zu schlagen, und trifft mit ihren Schlägen nur sich selbst. Jedes Stück der potenziell verkäuflichen Ware wird vertraglich mit Copyrights belegt, filetiert und stückweise in Wert gesetzt. Die klassischen Formate der Wissensproduktion und -distribution geraten ins Trudeln, und mit ihnen auch die traditionellen Rituale der Kompetenzbewertung. Die radikale Infragestellung der Autor_innenschaft, massive Angriffe auf die Standards zur Vermessung des Wissens, ausufernde Diskussionen um Plagiarismus verunsichern das Management. So sehr die akademischen Apparate und Kulturindustrien um Anpassungen ringen: mit den neuen medialen Bedingungen bleiben die traditionellen Formen der Wissensproduktion ebenso inkompatibel wie mit zukünftigen eman­zipatorischen Verkettungen des Schreibens, Übersetzens und öffentlichen Verhandelns von Publikationen. Und das, was an Ausschlussmechanismen hegemonial geworden ist – Peer Reviews, Impact Factors, Rankings, rigide Copyright-Regime – bringt einen zunehmenden Druck der Domesti­zierung von Stilen, Formen und Formaten, der Inwertsetzung und Selbstinwertsetzung – und damit die Auslöschung der Erfindungskraft.“
Webjournal Aufstand der Verlegten, 2014
auf www.transversal.at

Andrea, du scheinst im ersten Programm von transversal texts als Herausgeberin von zwei Büchern auf. Eines erschien unter dem Titel „Solidarität als Übersetzung“. Monika Mokre schreibt darin über das Refugee Protest Camp Vienna. Über das zweite Buch von Rubia Salgado „Aus der Praxis im Dissens“ ist in dieser Ausgabe der Referentin eine Buchbesprechung nachzulesen. Beide Bücher kann man im Buchhandel für je 15 Euro erwerben. Gleichzeitig steht ein Download der Bücher als EPUB oder PDF zur Verfügung, und zwar ohne Registrierung und frei von Kosten. Wie ist das möglich? Wie kann transversal texts dem Leser, der Leserin die Bücher derart unkommerziell zur Verfügung stellen?
Die von transversal texts gedruckten Bücher reihen sich in eine mittlerweile 16-jährige Veröffentlichungspraxis des eipcp ein. transversal texts als Produktionsort und Plattform ist ein erweitertes Textprojekt des eipcp – european institute for progressive cultural policies. Das eipcp wurde 1999 in Linz gegründet. Im Gründungsteam waren neben mir auch Raimund Minichbauer und Gerald Raunig, unterstützt von Gabriele Gerbasits von der IG Kultur Österreich. Seit der Gründung geben wir in unregelmäßigen Abständen das Webjournal transversal als multilinguales Jour­nal heraus.
Das erste Journal entstand im Jahr 2000 unter dem Titel ostwärts, kultur!, eine ironische Anspielung auf die damaligen Diskussionen rund um die Osterweiterung der Europäischen Union. Seither erschienen insgesamt 52 Journals, alle davon in mehreren Sprachen und Übersetzungen. Das bislang letzte Journal beschäftigt sich unter dem Titel „Das große Gefängnis“ mit der Situation von illegalisierten Migrant_innen in Europa.
Von Anfang an verfolgten wir als eipcp und transversal texts eine Praxis der Commons, weil uns die breite Streuung von Wissen wichtig ist. Deshalb sind die Buchpreise so niedrig und alle Bücher auch als Gratis-Download erhältlich. Um zu ermöglichen, dass weitere Bücher erscheinen, sind wir trotz allem auf Einnahmen angewiesen. Eine wichtige Einnahmequelle ist dabei der Bücherverkauf, aber auch Spenden oder Fördermitgliedschaften.

Wie lange gibt es transversal texts jetzt als eigenes Projekt, und was war für euch der ausschlaggebende Moment für die Erweiterung vom Webjournal zu einer Plattform?
Es gibt transversal texts nun knapp ein Jahr. Der ausschlaggebende Moment war sicher unsere schon lang anhaltende Unzufriedenheit mit den gängigen Praxen der Publikationsindustrie. Viele von uns sind in der Wissenschaft tätig, lehren an europäischen Universitäten und sind in ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit Impact Factors, Peer Reviews, Rankings und untragbaren Copyright-Praxen konfrontiert. Das Webjournal Aufstand der Verlegten beschreibt sehr deutlich unsere Kritik.
transversal texts besteht derzeit aus drei zentralen Formaten. Das Webjournal beschäftigt sich weiterhin mit verschiedensten Themen, die wir für wichtig und interessant halten. Dabei legen wir Wert auf Mehrsprachigkeit – meistens gelingt es uns, in 3 bis 4 Sprachen zu veröffentlichen. Der Blog greift politische Ereignisse, beziehungsweise Fragestellungen auf und versammelt zum Beispiel Texte zur Situation in Griechenland, zur Flüchtlingsbewe­gung oder zur spanischen Podemos. Im Blog werden auch konkrete Aktivitäten wie die Universität der Ignorant_innen von maiz angekündigt. Das dritte Format von transversal texts ist die Buchreihe, in deren erstem Jahr 9 Bücher erschienen sind.

Was kannst du über euren Standpunkt zum Thema Copyright erzählen? Oder vielleicht gleich über das praktizierte Copyleft, denn zu Copyrights bezieht ihr im Journal Aufstand der Verlegten eh ganz klar Stellung.
Die Entwicklung des Internets etablierte eine gesellschaftliche Praxis des „Teilens“ und „Weiterverwendens“ von Inhalten. Wir nutzen diese Praxis, um unsere Arbeit und wichtige politische Themen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Natürlich lässt sich das nicht vereinbaren mit Copyrights, Downloadeinschränkungen und geschlossenen Mitgliedsbereichen auf Webseiten, für die man zahlen muss. Wir veröffentlichen als transversal texts unsere Inhalte als Copyleft – die Copyleft-Praxis stellt sich klar gegen die Kapitalisierung von Wissen.
Damit der Strom des Teilens jedoch beginnen kann, müssen Texte geschrieben und in gemeinsamer – oftmals unentgeltlicher – Arbeit ausgesucht und redigiert, editiert, übersetzt, gelayoutet, korrigiert, gedruckt und vertrieben werden. Dabei sind wir – wie bereits erwähnt – auf (auch monetäre) Unterstützung und Einnahmen aus dem Buchverkauf angewiesen.

Das heißt, eure Praxis der Commons, wie Copyleft und Open Access funktionieren deshalb, weil engagierte Leute unentgeltlich daran arbeiten?
Ja, aber es ist nicht unbedingt etwas Neues, dass es in breiten Feldern der wissenschaftlichen Arbeit und der Kulturarbeit nicht möglich ist, die eigene Existenz über die Arbeit in diesem Bereich zu sichern. Auch dann nicht, wenn die Projekte auf Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und internationale Anerkennung treffen.

Leider ein ewiges Trauerspiel. Werdet ihr öffentlich gefördert? Wenn ja, von wem?
Das eipcp als Verein wird von öffentlicher Seite kaum gefördert. Besonders unbefriedigend war die oberösterreichische und Linzer Förderpraxis für das eipcp. Trotz zehnjährigem Vereinssitz in Linz wurden wir hier kaum gefördert. Es war sogar schwierig, die von uns benötigte minimale Co-Finanzierung bei unseren drei aus EU-Mitteln geförderten Projekten zwischen 2002 und 2009 zu erwirken. Deshalb haben wir den Vereinssitz 2009 nach Wien verlegt. Die Stadt Wien fördert uns aktuell mit einem Jahresbetrag von 9000 Euro. Vergleicht man das jedoch mit der Fülle unserer Aktivitäten, erscheint die Summe verschwindend gering. Aber es ist eine Realität, mit der wir seit der Gründung leben und arbeiten. Unser Institut erntet als webbasierte Plattform zwar weltweit Aufmerksamkeit und Anerkennung, aber in Österreich war und ist es schwierig, eine angemessene Förderung zu bekommen.

Und dennoch habt ihr auf transversal.at eine kleine Schatzkammer an Schriften und Informationen für die Öffentlichkeit aufgemacht. Bekommt ihr eigentlich Rückmeldungen, wer aller die Plattform und eure Inhalte nutzt?
Zu den Webjournals bekommen wir aus den verschiedensten Ecken der Welt positive Rückmeldungen. Auch hier in Linz werde ich immer wieder von verschiedensten Personen – ob Künstler_innen, Kulturarbeiter_innen, Aktivist_innen oder Studierende – angesprochen, dass unsere Textproduktion eine wichtige Ressource für ihre Arbeit ist.

Dann möchte ich zuletzt im Namen der Leser_innen sagen: Danke Andrea, für deine Zeit und die Einblicke in transversal texts und das eipcp. Alles Gute für dich und alle, die an transversal texts auch im Jahr 2016 weiterarbeiten. 

eipcp.net
transversal.at
4. 4. 2016, 19.30 h
Aufstand der Verlegten
Kepler Salon, Linz
Stefan Nowotny, Niki Kubaczek und Ruth Sonderegger von transversal texts sprechen über die Todeskämpfe der Publikationsindustrie und den Aufstand der Verlegten.
Eine Veranstaltung des Kepler Salon (kepler-salon.at) in Kooperation mit dem eipcp (eipcp.net).

    Print       Email

About the author

lebt in Linz und bewegt sich im transdisziplinären Feld zeitgenössischen Kulturschaffens.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert