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Gemma ind Schiassn??

By   /  1. Juni 2023  /  No Comments

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Es ist ganz simpel erklärt. Man nehme ein leerstehendes Wirtshaus, eine Portion Vision und Tagträumerei und versucht das Konzept im Kopf zu präzisieren und in die Tat umzusetzen. Genau das hat Isabella Auer gemacht und den Kulturverein zur Schießhalle in Untergaumberg gegründet. Conny Erber war in der Schiassn.

600 Quadratmeter Nostalgie
Bereits in der K&K-Zeit hat sich auf dem heutigen Areal des Wirtshauses am Stadtrand von Linz eine Schießhalle befunden, die nur wenig lange benutzt und später eingestellt wurde. Nach der Schließung dieses Schießplatzes wurde erst das Wirtshaus zur Schießhalle gebaut, das bis heute für die Bewohner:innen von Untergaumberg unter dem Namen Schiassn bekannt ist. Ein Gebäude mit einer Gesamtfläche von mehr als 600 Quadratmetern und vielen ehemaligen Gästezimmern im ersten Stock. Unerwartet geerbt hat das Gebäude der Vater von Isabella Auer. Als der letzte Wirt, unter großem Bedauern der Nachbar:innenschaft, ausgezogen ist, kam Auer selbst zum Zug. Gemeinsam mit dem Kulturverein qujOchÖ, wo sie auch Mitglied ist, hat sie die Bar der verlorenen Hoffnung in den Wirtshausräumlichkeiten veranstaltet. Gehypt und euphorisch kam im Weitersinnieren der Entschluss, das gesamte Gebäude zu mieten und zu bespielen. Gesagt, getan. Nach vielen Stunden finanzieller und strategischer Planung wurde der Traum vom eigenen Künstle­r:innen-Hauskollektiv Realität. Man hatte leider vorab nicht wissen können, dass der Tatendrang zu Beginn weniger in der Kulturarbeit ausgelebt werden konnte als eher in Renovierungsarbeiten. Nach fast drei Jahren Baustelle, wo Auer selbst als Elektrikerin, Installateurin, Bodenlegerin alles ausprobieren und lernen durfte, verwandelt sich das Wirtshaus in ein herzeigbares Raumwunder.

Am Samstag, den 17. Juni gibt es dann endlich die offizielle Eröffnungs- und Einweihungsfeier, wo sich die Besucher:innen selbst ein Bild von diesem Hausprojekt machen können. Die Zeit vor den Renovierungsarbeiten wurde trotzdem wunderbar genutzt. In den Räumlichkeiten im ersten Stock gab es bereits Kollektive und Künstler:innen, die sich eingemietet hatten und kreativ tätig waren. Die unterschiedlichen Baustellenphasen wurden selbst für Veranstaltungen gut genutzt. So fanden bereits mehrere Ausstellungen und Konzerte von qujOchÖ statt, wie auch drei Roller-Discos, die unterschiedlichste Menschen in ihren Bann zogen und ein Gefühl von Nostalgie aufkeimen ließen. Grundsätzlich war bereits lange zuvor die Idee eines Hausprojektes in Isabella Auers Kopf eingenistet. Der einfachere Zugang zu den Gebäuderäumlichkeiten macht auch den weiteren Verlauf des Projektes einfacher. Zumindest in der Theorie. Denn die Praxis fordert dennoch finanzielle Mittel, die zurzeit nur schwer zu lukrieren sind. Eine Hürde, die wohl jede Kulturinitiative in der freien Szene überwinden muss.

Von der Kunst zum Kollektiv
Der Kulturverein zur Schießhalle ist ein Ort, wo Synergien geschaffen werden, sich verschiedenste Kunst- und Kulturbranchen und Menschen vernetzen dürfen und sollen. Zurzeit mieten sich Potato Publishing, das FMR-Büro, qujOchÖ, Blazej Kotowski, Daphne Xanthopoulou und Isabella Auer selbst als Künstlerin in den Räumlichkeiten ein. Richtig heimelig wirken die unterschiedlichen Atelierräume, wo der Esprit von jeder vertretenen Kunstbranche mitschwingt. Nach Menschen, die sich auf den Bereich Sound und Musik fokussieren, wird noch gesucht. Die Grundidee ist ja, dass diese diversen Ressourcen und Talente auch für gemeinsame Projekte genutzt werden sollen. Ob gemeinsame Projekte dann auch reibungslos stattfinden werden können, wird sich zeigen. Das Phänomen von Künstle­r:in­nenkollektiven ist jedenfalls nicht neu, kommt in Wellen und scheint in der freien Szene wieder einen Aufschwung zu erleben. Aktuell werden auch Intendanz- oder Kuratorenpositionen gerne an Gruppen vergeben, und der kollektive Zugang wurde etwa auch 2022 im Rahmen von auftauchenden Problemen bei der documenta diskutiert. Dort lag die Verantwortung nicht wie sonst bei einer einzelnen Person, sondern die Kuration wurde von einem Künstler:innenkollektiv übernommen. Wie viele andere auch, hatte Der Standard dann die Thematik aufgegriffen – und bezeichnete das Leitungs-Kollektiv der documenta als ein „zeitgeistiges Wohlgefühl ohne Verantwortung“. Was de facto als kritisch zu sehende Facette einer geteilten Verantwortung gelesen werden kann. Zum Kollektivbegriff gäbe es zweifelsohne viel zu sagen. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert den Begriff so: „Das Word ‚kollektiv‘ kommt vom lateinischen Wort ‚collectivus‘, das bedeutet ‚gemeinschaftlich‘. Wenn man von einem ‚Kollektiv‘ spricht, meint man eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam eine Sache oder eine Überzeugung für sehr wichtig halten. Es kann sein, […] dass sie gemeinsam Erfahrungen gemacht haben, die für sie alle bedeutsam sind.“ Und, um auf die Schießhalle zurückzukommen: Dort soll in Zukunft also gemeinsame Sache gemacht werden, indem Prozesse, Erfahrungen und Projekte aus unterschiedlichen Kunstrichtungen geteilt und nach außen getragen werden. Wer Verantwortung übernimmt und in welchen Ausmaß mitentscheidet, wird gerade noch von Auer und den derzeitigen Mieter:innen ausgearbeitet.

Ein Ort für alle
Das ehemalige Wirtshaus zur Schießhalle steht aber auch allen anderen Menschen, die einen Ort für eigene Veranstaltungen, Versammlungen, Kunstprojekte und vieles mehr suchen, genauso zur Verfügung. Im Haus befinden sich Werkstätten, die mit Lasercutter und Stickmaschinen ausgestattet sind bzw. sich auf die Materialien Holz und Metall spezialisiert haben. Zusätzlich gibt es einen Multifunktionsraum, der, wie der Name schon sagt, den künstlerischen Bedürfnissen und Anliegen entsprechend genutzt werden kann. Auer ist es auch wichtig, dass die Bevölkerung von Untergaumberg wieder Zugang zum einstigen Wirtshaus findet. Es sollen Veranstaltungen im lauschigen Gastgarten stattfinden, wo auch Künstler:innen aus der Umgebung spielen sollen und die Wünsche der Bewohner:innen in die Planung des Kulturprogrammes miteinbezogen werden. Das ehemalige „Wirtshaus zur Schießhalle“ soll ein Veranstaltungsort sein, wo diverse Menschen die Gelegenheit finden, ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen. Außerdem benötigt es Freiwillige, die in diesem Hauskollektiv mitarbeiten möchten und auch Ideen einbringen. Viele Hände, rasches Ende. Zumindest wenn es um Veranstaltungen geht, kann man nie genug Menschen um sich haben, die das Pathos einer Kultureinrichtung teilen und sich engagieren. Am Eröffnungstag selbst kann man auch mit den derzeitigen Mieter:innen aus den Kunstbranchen ins Gespräch kommen und sich ihre Atelierräume ansehen. Potato Publishing wird auch Workshops zum Thema Riso-Print, eine japanische Druckart und Siebdruckverfahren, anbieten, das ausprobiert werden darf. Am Abend finden Konzerte mit verschiedenen Musikrichtungen im Gastgarten statt. Ein Abend, der sich wunderbar anhört. Ein Abend, der wieder frischen Wind in die Kulturlandschaft rund um Linz bringt.

 

Eröffnungsfeier
Kulturverein zur Schießhalle
Samstag, 17. Juni ab 15:00 Uhr

Kulturverein zur Schießhalle
Waldeggstraße 116, 4020 Linz
wirtshaus.art

Quellen:
www.derstandard.at/story/2000137026942/kollektive-in-der-kunst-zeitgeist-mit-fehlender-verantwortung
www.derstandard.at/story/2000099634604/warum-kollektive-im-kulturbetrieb-zunehmend-den-ton-angeben
www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320647/kollektiv-kollektivierung

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About the author

ist gelernte Soziologin und angehende Sozialwirtin. Job-Hopperin seit jeher, immer wieder im Kunst- und Kulturbereich tätig und engagiert. 2019 gründete sie den feministischen Buchclub Linz und versucht die Welt besser zu machen.

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