Was machen eigentlich aktuell Time’s Up, die sich zuletzt getraut haben, so etwas wie hoffnungsvoll in die Zukünfte zu blicken? Christian Wellmann war für die Referentin im Hafen und berichtet von Gedanken, Plänen und Navigationsräumen von TU wie Time’s Up bis TU wie Turnton.
Die Zeit scheint förmlich einzufrieren, wann immer man im Linzer Hafen Time’s Up (TU) besucht. Die Zeit wird dort zum Kaugummi gedehnt oder zur kompakten Kugel geformt, durch den stetigen Gedankenflusslauf ihrerseits und das gerade herbstlich vernebelte Hafenbecken, dessen Wasserstand circa einen Meter niedriger ist als sonst, da der neu errichtete Damm zur Hochwassersicherung wieder geöffnet wurde. Die Zeit ist um. Drumherum.
Mehr Linz-mediterran als hier wird’s nicht, der Vorbeifluss der angegrauten Donau mit dem stehenden Hafengewässer schafft die perfekte Umgebung, wo das Future-Building des TU-Labors sprudeln kann, um kleine Wellen ins Meer zu zeichnen. Blubbernde Visionen im endlosen Ozean des Hier. Willkommen in der Welt der maritimen Metapher von Morgen.
TU ist immer ein organisches Wachsen oder ein Weiterwachsen: „Falling in Place“ – eines nimmt das andere mit. Proaktiv, mit einem gewissermaßen positiven Ansatz, wagen sie hoffnungsvolle Vorstellungen anzudenken. Zukunftsreich, für Töchter wie Söhne und alle dazwischen und außerhalb.
Das Herbst-Programm 2024 von Time’s Up umfasst als Futuring Exercise bezeichnete Workshops, mit so bezeichnenden Titeln wie Unlearning Futures, The Error is not a Mistake, Conflict Transformation. Die Referentin erkundigt sich hier zu ihrer Gegenwart, doch natürlich kommen sie nicht umhin, ebenso Kommendes und Passiertes zu behandeln. Darum gibt in Folge das TU-Kollektiv in eigenen Worten einen Einblick ins aktuelle Programm, mit Aussicht auf die nähere Zukunft und einer Reflexion ihrer Geschichte:
„Die aktuellen Veranstaltungen sind ohnehin nur einer von mehreren roten Fäden, die sich seit längerem verknäulen und ineinander verweben. Einer der Fokuspunkte ist vielleicht, dass noch immer diese möglichen Zukünfte von großer Relevanz für uns sind. Das entstand durch die haptischen Räume, Physikalität ist uns sehr wichtig – wir versuchen Zukünfte greifbar zu machen. Auch in diesem Sinne, dass es ja ohnehin immer grimmiger und düsterer wird, und diese Sorge ob der Zukünfte größer wird. Und trotzdem wollen wir bei TU nicht klein beigeben und haben keine Lust aufzuhören – und wollen die Zukünfte mit einer bestimmten Hoffnung bzw. mit Tatendrang realisieren/akzeptieren.“
Allem übergeordnet wird weiterhin eine konsequente Sturheit kultiviert. In Bezug darauf, wie manche über die Zukunft denken, tun sich Abgründe auf – es soll aber dennoch um Hoffnung gehen. „Da kommen große, böse Wellen, aber wir fragen uns: Wie bleiben wir dennoch navigationsfähig? Den Kopf in den Sand stecken ist zu wenig. Wir haben keine Lust zu weichen, Platz zu machen und versuchen, dieser Polykrise etwas entgegenzuhalten. Eine sehr essentielle Krise ist die der Imaginationsschwäche: Wir haben sofort apokalyptische Bilder, das haben wir in ganz vielen Erzählungen rundherum – und das reicht uns nicht, das ist zu langweilig. Darum gibt es die vier Herbstveranstaltungen und alles andere, wie die Experimental Futures bis hin zu unseren Publikationen.“ Hoffnungsvolle Visionen haben bei Time’s Up einen sehr wichtigen Stellenwert.
Das vor sieben Jahre begonnene Turnton-Projekt ist u. a. eine Rauminszenierung, ein imaginärer Ort, ein Angebot, eine Welt (im Jahre 2047) zu erforschen und mitzugestalten, die stetig wächst. „Wir haben bei den Futuring Exercises Menschen eingeladen, Turnton weiterzudenken und weiterzuentwickeln, was aber in einer Workshop-Umgebung schwierig ist. In Turnton reinzukommen, ist eine große Reise. In den Workshops versuchen wir, die Leute mit Ideen, Reflexionen und Prozessen zu ‚füttern‘, das sie woanders hinkommen.“ Erkenntnisse der letzten Jahre fließen da natürlich ein und TU führt das homogen weiter. Die Dinge, die sie nutzen, die Prozesse, sind nicht wahnsinnig kompliziert – sie sind zudem keine „Trained Futurists“.
Die Workshops sind nicht explizit auf Turnton aufgebaut, jedoch: „Auf der anderen Seite sind alle Dinge auf Turnton aufgebaut, weil es diese Vermengung von positiven/negativen Möglichkeiten ist, utopischen/ dystopischen Gedanken, Dinge, die auseinanderfallen. Das alles zu vermengen, ist das Spannende an Turnton, das versuchen wir in den Workshops zu machen, was weder eine Techno-Utopie noch eine dystopische Apokalypse ist.“
Alles rührt aus Turnton oder führt zu Turnton und hängt zusammen – oder auch nicht. „Häufig wird an uns die Frage herangetragen, welche Methoden wir denn nutzen würden – ohne dass wir jemals bewusst Methoden entwickelt haben. Einerseits gibt es die künstlerische Arbeit von TU, die sich mit den Experimental Futures, den erfahrbaren Zukünften, den Räumen, diesen immersiven Umgebungen, die wir bauen, beschäftigt – wo man dann die Zukunft tatsächlich erlebt. Futuring Exercises sind die andere Methode: Workshop-Serien, um Zukünfte zu üben, die eher darauf aufgebaut sind, dass es in jedermenschs Hand liegt, sich Zukünfte vorzustellen.“ Es sind strukturierte Workshops, die dokumentiert werden, und bei denen man relativ einfache Übungen durchspielen kann, die später wie auch immer weiter betrieben werden können. Ein spielerisches Ermöglichen, dass Leute selbst etwas imaginieren. Gelegentlich kommt es zu spannenden Ideen, die einfach ganz neu sind. Nach wie vor sind eben das Spiel und das Experiment sehr wichtige Aspekte: „Es ist ein bisschen wie im Punk: Das sind drei Akkorde, starte eine Band. Im Spielerischen gibt es keine korrekte Möglichkeit. Was wir tun, ist ein bisschen die Fantasie anzuregen und Leute zu motivieren.“
„How dare you maintain hopeful in times like this …“, prasselte anlässlich der letzten Ars Electronica Skepsis auf sie nieder. „Das war eine Kritik innerhalb einer Ausstellung. Die Kritik ist, dass jemand geglaubt hat, wir denken, alles wird super in der Zukunft. Diese Person hat es als Frechheit empfunden, was wir machen oder es ‚wagen können‘. Wir bekommen andererseits oft den Vorwurf, dass wir mit Turnton eine sehr düstere Welt zeichnen. Wir versuchen aber nicht mehr nur die hoffnungsvollen Visionen zu denken und darzustellen.“ Vielleicht ist es ein kritischer Widerstand gegen herkömmliche Theorien. „Erstens gibt es die, die sagen: Es wird alles super! Anderseits die, denen alles egal ist: Wir sind eh die letzte Generation, am besten jetzt die Kinder töten, bevor wir dann untergehen. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen sein, die Menschlichkeit muss aber durchscheinen. Es ist bei uns vielleicht dieser Appell, der nicht notgedrungen ist: Wir möchten die ganze Welt wachrütteln, aber es ist in diesem Netzwerk von TU wunderbar, dass da Viele sind, rund um eine Kerngruppe von sechs Personen. Es gibt dieses sich immer gegenseitig Inspirieren und Motivieren, aber auch diesen Appell, diese Zivilcourage in irgendeiner Form zu leben. Wo kann man dann pushen, ob das im Kleinen oder im Größeren ist – das ist dann Widerstand oder Appell.“
Ab dem Herbst 2025 kommt die nächste große Erweiterung innerhalb von Turnton: Ein neues Projekt in Rostock, wo TU mit dem Schifffahrtsmuseum und Forschungsinstituten zusammenarbeiten wird. Mit einem intensivierten Schwerpunkt auf Ozeanen/Ostsee bzw. auf der Regeneration von Ökosystem in Gewässern. „Da gibt es ohnehin schon seit längeren Zeiten ein Interesse unsererseits. Und weil das noch relativ gut überschaubar ist, ebenso wie die Problematiken mit den Algenteppichen bzw. der Sauerstoffarmut.“ Zum einen gibt es das Thünen-Institut, das einen speziellen Zweig der Ostseeforschung betreibt und das IOW (Leibnitz-Institut für Ostseeforschung). „Mit den beiden beginnt gerade die Kooperation. Wir können unsere Ideen dadurch wesentlich besser und fundierter aufbauen, was uns aber trotzdem nicht daran hindern wird dürfen, dass wir teilweise auch ins Fantastische gehen. Bisher fühlt sich die Zusammenarbeit sehr gut an.“ Weiters arbeiten sie mit dem GEOMAR-Helmholz-Institut, einem der federführenden Institute auf diesem Gebiet, zusammen, das wichtig für GEO-Engineering ist.
„Normalerweise wollen Wissenschaftler:innen immer sehr klar ihre eigenen Ideen nach außen bringen und es soll alles sehr korrekt sein. Wir betreiben jedoch Spekulationen in der Zukunft, aber so lange wir nichts sagen, was völliger Blödsinn ist, ist alles in Ordnung. Weil, was die Zukunft anbelangt, kann man nicht falsch liegen – man weiß nicht, was passieren wird. Wir versuchen, ein Szenario aufzubauen, bei dem man nicht weiß, dass das wissenschaftlich nicht möglich ist, oder einfach nicht stimmt. Vielmehr ein: ‚Das wissen wir noch nicht, das können wir noch nicht, aber im Prinzip ist es nicht unmöglich‘. Genau in diesem Bereich zu spekulieren ist viel schöner.“ Spekulationen werden somit oft zu – möglichen – Fakten.
„Wir fiktionalisieren und verwenden irrsinnig gerne die Szenarien, die sich aus den Hochrechnungen der Institute ergeben, aber wir ziehen die Ebene der Storyworld, der Fiktionalisierung, ein. Das war auch die Brücke, die die Zusammenarbeit ermöglicht hat. Da es nicht rein fantastisch ist, ist es schon Spekulation, aber das Geschichtenerzählen ist wichtig.“
Dass die 1996 gegründeten TU über die Jahre hinweg als „Zukunftsvisionär:innen“ gelten, verneinen sie. „Damals gab’s ja noch eine Zukunft, man hat geglaubt, dass man dorthin geht, wo es irgendwann noch besser wird. Als wir angefangen haben, haben wir an einer irgendwie lustvollen Welt gebastelt. In den 1970/80ern hat man sich die Zukunft automatisiert und spielerisch vorgestellt, dass alles besser wird … Ein Gefühl, es geht vorwärts, die Technologie kommt. Das Techno-Utopische haben wir immer in Frage gestellt. Wir haben aber gelernt, vernünftig über die Möglichkeiten der Zukünfte zu sprechen, anstatt was passieren wird oder soll. TU hat den Spiel- bzw. Denkraum für Alternativen zugelassen. Wir haben immer mit etwas gespielt, das nie in der ganz genau aktuellen Gegenwart greifbar war, also im Mainstream verbreitet.“
Frei nach Musil geht es um den Möglichkeitssinn: Alles was nicht ist, soll man genau so wichtig nehmen, wie das, was ist. „Bei uns wird nichts weggeworfen, von Ideen bis zum letzten Stück Papier hin zu einem Metallstück in der Werkstatt. Das ist alles ein Organismus, vor allem mit den Menschen, mit denen man irgendwann gearbeitet hat.“ Ja, ein gutes Leben für alle ist möglich.