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Sag Alex, ich bin kurz Stadtschreiberin in Wels

By   /  30. November 2023  /  No Comments

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Bis Ende November war die Schriftstellerin Irene Diwiak Welser Stadtschreiberin. Wie hat sie diese Zeit verbracht? Und wie hat sich die Autorin, die kürzlich ein Buch über die NS-Widerstandsgruppe Weiße Rose veröffentlicht hat, in einer FPÖ-regierten Stadt gefühlt? Silvana Steinbacher über die vielseitige Autorin, ihr jüngstes Buch und Wels.

Die Veröffentlichung in einem professionellen Verlag, Bezugnahme auf die Lebensrealitäten von Kindern und Jugendli­chen, Gegenwarts­bezug und künstlerische Eigenständigkeit: Erst wenn Schreibende diese Aspekte vorweisen können, dürfen sie sich bewerben. Acht Autor:innen haben vor Irene Diwiak die Hürden erklommen, um für drei Monate Welser Stadtschreiber:in zu werden. Ich frage mich, nach welchen Kriterien Gegenwartsbezug und künstlerische Eigenständigkeit denn zu überprüfen sein könnten. Um dem geforderten Gegenwartsbezug zu entsprechen, hat Irene Diwiak ihr Nachwort zu ihrem jüngsten Roman Sag Alex, er soll nicht auf mich warten eingereicht. Dieser Roman thematisiert aus einer eigenständigen Perspektive – davon wird später noch die Rede sein – die NS-Widerstandsgruppe Weiße Rose. Irene Diwiak hat zu diesem Buch ein sehr langes Nachwort verfasst. Es spannt, so meint sie, eine Brücke von den historischen Ereignissen bis zu unserer unmittelbaren Gegenwart. „Über künstlerische Eigenständigkeit verfüge ich ja wohl“, sagt die Autorin lächelnd, und wer möchte ihr nach drei Romanen, Kurzhörspielen und einigen Theaterstücken widersprechen.
Wie fühlt sich die Autorin in Wels, wie hat die in der Steiermark geborene und jetzt in Wien lebende Irene Diwiak diese Stadt, die FPÖ-regierte Stadt Wels, erlebt?
In Wels fiel ihr ziemlich schnell die Fülle der FPÖ-Plakate und -Werbungen auf, doch so ein gravierender Unterschied zu anderen Städten ist diese Präsenz ja mittlerweile nicht mehr, sinniert sie. Sie erlebt die Stadt gespalten, nimmt Spannungen in der breiten Bevölkerung wahr.
Ende September hielt Irene Diwiak ihre „Antrittslesung“ im Welser Boutique Hotel Hauser. Die Autorin beobachtet in Wels unterschiedliche Publikumsschichten: einerseits Kultur für jene, die vom Bürgertum als die sogenannten Linken bezeichnet werden und andererseits Kultur für das sogenannte Bürgertum. Und jede Kulturstätte hat ihr eigenes Publikum. Aber diese Unterscheidung ist nicht nur ein Spezifikum von Wels. Irene Diwiak erzählt mir von Angeboten, die sie in Wels interessiert hätten. Im Stadttheater etwa wurde Hamlet – one man show präsentiert. Hubsi Kramar und Stefano Bernardin haben Hamlet in eine Einmann-Show verwandelt, ohne Shakespeare zu verraten.

Kommen wir zum Alltag der Autorin in Wels. Welche Wohnung wurde der Stadtschreiberin zur Verfügung gestellt, frage ich mit ziemlicher Selbstverständlichkeit. Irene Diwiak klärt mich auf, dass sie ein Zimmer in einer Privatwohnung einer Dame in Bahnhofsnähe zugewiesen bekam. Sie fühlt sich dort wohl. Die Alternative wäre ein Zimmer über einem Irish Pub gewesen. Ich überlege, ob es denn eine vergleichbare Situation gibt: Stadtschreibe­r:in­nen verfügen, soweit ich informiert bin, über ihre eigene abgeschlossene Unterkunft, und weil mich das näher interessiert und mir selbst diese Wohnform als ansonsten nur wenig anspruchsvoller Mensch für drei Monate überhaupt nicht zusagen würde, möchte ich wissen, was ganz simpel Wikipedia notiert. „Stadtschreiber bezeichnet einen meist mit einem Stipendium verbundenen kommunalen Literaturpreis, den einige Städte seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergeben. Der Preis ist in der Regel mit kostenloser Wohnung, sowie meist einer zusätzlichen kulturellen Aufgabe in der entsprechenden Gemeinde verbunden.“ So weit also, aber wenn es Irene Diwiak nicht stört.
Es war von den Aufgaben die Rede, und die musste auch Irene Diwiak absolvieren, sie haben sie aber nicht belastet, sagt sie. Sie musste drei Lesungen halten, einen Workshop für Kinder gestalten, einen Besuch beim FPÖ-Bürgermeister Andreas Rabl abstatten und Kolumnen für die OÖN verfassen. In einer ihrer Kolumnen bedauert Irene Diwiak, wie der Schulunterreicht die Kreativität der Kinder eindämme. Immer wieder tauchte innerhalb ihres Workshops seitens der Kinder die Frage auf, ob sie bezüglich Gestaltung eines Textes denn dieses oder jenes auch dürften. Auch sie als Autorin stelle sich nach wie vor diese Frage. „In Zeiten, in der Shitstorms die sachliche Kritik ersetzen, übt man sich oft im vorauseilenden Gehorsam“, heißt es in ihrer Kolumne.
Die erst 32-jährige Schriftstellerin hat literarisch schon einiges vorgelegt. Sie ist im steirischen Deutschlandsberg aufgewachsen und zum Studium nach Wien gezogen. Sag Alex, er soll nicht auf mich warten ist ihr bisher dritter Roman, sie arbeitet auch am Theater vor und hinter der Bühne und schreibt Drehbücher. Irene Diwiak hat bereits einige Preise erhalten und ist tatsächlich als Frühstarterin zu bezeichnen, denn ihren ersten Literaturpreis erhielt sie mit zehn Jahren bei der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz.
Mir ist Irene Diwiak erst aufgefallen, als ich ihren jüngsten Roman Sag Alex, er soll nicht auf mich warten über die legendäre NS-Widerstandsgruppe Weiße Rose gelesen habe. Warum wählt eine Autorin heute noch dieses Thema, wollte sich diese junge Schriftstellerin besonders herausfordern? So meine ersten Gedanken, bevor ich ihr Buch gelesen habe. Sie habe tatsächlich genug Warnungen gehört, ausgerechnet darüber zu schreiben, bestätigt Irene Diwiak meine erste Voreingenommenheit. Es sei doch schon alles darüber gesagt, die Geschichte sei mittlerweile völlig uninteressant, nur noch Märtyrerkitsch. Aber: Widerstandsgeschichten sind Geschichten der Hoffnung. Und Hoffnung ist der zentrale Antrieb für eine konstruktive Gestaltung der Zukunft, gibt sie sich überzeugt. Ihr Ansatz zu diesem Buch ist gut gewählt und auch durchgehalten, denn Diwiak richtet hier ihren Fokus auf die Freundschaft zwischen Hans Scholl und Alexander Schmorell.
Zur Erinnerung: Die Weiße Rose war eine deutsche Widerstandsgruppe gegen die Diktatur des Nationalsozialismus. Sie entstand in der Zeit des Zweiten Welt­kriegs auf Initiative eines Freundeskreises um Hans Scholl und Alexander Schmorell ab 1942 in München. Die Gruppe verfasste, druckte und verteilte Flugblätter, in denen sie die Verbrechen des Nationalsozialismus anklagte und zum Widerstand aufrief. Innerhalb der medialen Betrachtung stehen meist die Geschwister Hans und Sophie Scholl im Mittelpunkt, doch die Gruppe umfasste mehr Mitglieder und vergrößerte sich zusehends. 1943 wurde sie an die Gestapo verraten, sieben Mitglieder wurden hingerichtet und sechzig weitere zu teils langen Haftstrafen verurteilt.

Der Roman, an dem Irene Diwiak zurzeit arbeitet, handelt von einer älteren Frau, die der festen Überzeugung ist, die Enkelin von Kronprinz Rudolf zu sein, sie stammt aus einer reichen Familie und definiert sich und ihr Leben einzig und allein an ihrem vermeintlichen Adelsstand. Diwiak stellt die Frage oder lässt sie erahnen, ob es nicht besser gewesen wäre, besagte Protagonistin hätte sich der Realität gestellt, doch möglicherweise hat ihr gerade dieser Schein­adel ihre Identität gestärkt. Was bei Irene Diwiaks Büchern auffällt, sind die jeweils sehr unterschiedlichen Themen: Ihren Debütroman Liebwies siedelt sie im Jahr 1924 an, ein Musikexperte will einer von ihm begehrten, unbegabten Frau fast ohne Stimme mittels Erpressung zu Ruhm und Erfolg verhelfen. In ihrem zweiten Buch Malvita entführt sie ihr Publikum zu den Reichen und Schönen Italiens und bald wird der Protagonistin klar: Hier stimmt einiges nicht. Und in Roman Drei und Roman Vier wendet sie sich wie gesagt wiederum jeweils einem anderen Sujet zu.
Als wir uns treffen, ist die Frankfurter Buchmesse, zu der sie eingeladen worden ist, seit ungefähr einer Woche vorüber. Die Autorin erinnert sich recht gerne. In einer sogenannten 30-Minuten-WG fanden fast im Fließbandmodus Gespräche mit Auto­r:innen statt. Außerdem las Irene Diwiak auch einen Text einer iranischen Autorin – bei einem Projekt unter dem Titel Eine Stunde Schönheit. Natürlich, so Irene Diwiak, fahre ein Autor, eine Autorin auch zur Buchmesse, um sogenannte wichtige Menschen kennenzulernen, um sich zu vernetzen. Sie war beim Österreich-Empfang, mache das „Spiel“ in begrenztem Rahmen mit. Aber an sich sagt sie mit Entschlossenheit: „Mein Job ist Schreiben.“ So wird sie vermutlich auch die nächsten Monate verbringen, denn das Buch über die „scheinadelige“ Dame erscheint bereits im späten Frühjahr 2024.

 

Welser Stadtschreiber:in www.wels.gv.at/lebensbereiche/bildung-und-kultur/kultur-in-wels/welser-stadtschreiber

Irene Diwiaks Romane: Liebwies, Deuticke Verlag, 2017; Malvita, Zsolnay Verlag 2020; Sag Alex, er soll nicht auf mich warten, C. Bertelsmann Verlag, 2023.

Silvana Steinbacher unterhält auf dorfTV die Literatursendung „Literatur im Dorf“, in der Ausgabe vom 13. September 2023 war Irene Diwiak zu Gast. dorftv.at/video/42867

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About the author

ist Autorin und Journalistin.

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