Loading...
You are here:  Home  >  Kunst und Kultur  >  Current Article

Die Befürwortung von Kunst – Test, Test, Ok

By   /  30. November 2023  /  No Comments

    Print       Email

Das Wiener Belvedere 21 hat eine dreiteilige Ausstellung ins Leben gerufen, die sich an Off-Spaces und der „Abbildung einer diskursiven, künstlerischen Produktion in einer Stadt“ versucht. Ende Oktober eröffnete der dritte Teil des Formats Über das Neue. Wiener Szenen und darüber hinaus – bei der unter anderem der Linzer Verein für Skulptur EFES 42 vertreten ist. Ralf Petersen war bei der Eröffnung vor Ort.

ERÖFFNUNG im Oktober 2023: Dimensionale Vielfalt, winzig bis riesig und raumgreifend. Artists from Spain, Kuba, Poland. Vielleicht Erschöpfung. Publikum, Figurenlenkung, Blickmöglichkeiten. „Das ganze Dorf ist da“, sagt jemand und freut sich. Stella Rollig hält die Eröffnungsrede. Sie ist die Generaldirektorin. Das Belvedere 21 ist ein Gebäude, eine Stahlkonstruktion, die an vier Pylonen hängt. Es ist der „Versuch einer großen Institution“, sagt Rollig, „zu kooperien, zu kollaborieren.“

Der „vielzitierte Satz“ Kunst sei nicht dazu da, Antworten zu geben, sondern Fragen zu stellen hat, findet Rollig, ausgedient. Er „gehört verworfen.“ Die Kunst in der Pflicht: Antworten geben, Stellung beziehen, Weg weisen. Und zwar nicht nur die große Kunst, die „Siegerkunst“, die zu Mil­lionenpreisen bei Kunstmessen verscherbelt wird. Überhaupt: „Gedämpfte Stimmung bei der Art Basel in Paris“, das ist das Narrativ der Rollig-Rede. In Paris, weiß sie, da waren die Sammler*innen zwar einen Moment lang glücklich, aber die Kunstwelt, die spürt die Krise natürlich auch, dass also eben die Siegerkunst Amok läuft gegen die große Vielfalt der übrigen Kunstproduktion, die in und zwischen Kunstuniversitäten, Arbeitsförderungen, Off-Spaces oder auf U-Bahn-Waggons passiert. Und deswegen gibt es jetzt diese Platt­form, die das Belvedere 21 zur Verfügung stellt, und zwar „Projekt-Räumen“ und vielfältigen künstlerischen Positionen: Eine Ermöglichung der Auseinandersetzung. Inspirierend, diese Worte von Stella Rollig, die die eine Seite des „Gegensatzpaares“ Institution / Kunst verkörpert und über die Erwartungen an das Museum, aber auch die Möglichkeiten desselben sprach: Sichtbarmachen, Raum bieten, Zeigen.

Stellvertretend für das fünfköpfige Kuratorinnen-Team gibt die zweite Rednerin, Christiane Erharter, in ihrer Ansprache einen Überblick über die ausgestellte Kunst. „Über das Neue“, sagt sie, ist „ein Megaprojekt.“ Damit meint sie, dass es sehr viele Personen, Gruppen, Orte, Kurator*innen, Künstler*innen gibt, die alle unter einen Hut bzw. in ein Gebäude gebracht werden müssen. Dabei ist, sagt Christiane Erharter, der „Aspekt der Vielfalt der rote Faden.“

Sehr schön sind die vier Wägen, die die Gruppe AKT als Ausstellungsdesign, als unterteilte Präsentationsplattformen innerhalb des Ausstellungsraumes gebaut hat, ein Wiener Architekturkollektiv, welches sich mit erlebbarer Raumkonstitution auseinandersetzt. Der Wagen 1 steht gleich am Eingang und beginnt mit Skulptur. Erharter weist auf die politische Dimension von skulpturalen Arbeiten hin, weil Skulpturen eben Präsenz im Raum haben. Es gibt eine skulpturale Soundarbeit, die Zerstörung hörbar macht. Es sind gerade Zeiten von Zerstörung. Man ist zwar in einer Ausstellung und schaut Skulpturen und hört Soundarbeiten an, aber die Außenwelt ist nicht ausgeschaltet.

Teil von Wagen 1 ist auch der Linzer Verein für Skulptur EFES 42, der herkömmlicherweise in der Schillerstraße 42 ansässig ist. Jetzt ist das Kollektiv temporär in den Pavillon am Wiener Schweizergarten übersiedelt. Während des Aufbaus habe ich mich mit zwei Dritteln des Trios, mit Stefan Brandmayr und Christel Kiesel, unterhalten. Felix Pöchhacker hat währenddessen Care-Arbeit übernommen. „Was passiert?“, wollte ich wissen, zwischen Klappleitern, Rollbretter, Wagen, Paletten, Werkzeug, und: „was ist daran neu?“

EFES 42 ist bei Über das Neue Teil von darüber hinaus – also einer der vier Linzer Räume, der eingeladen wurde. Sie präsentieren Spuren aus über sechs Jahren Ausstellungen im EFES, darunter keramische Wespen, skulpturale Überreste, performative Requisiten und einen überdimensionierten Tennisball. Bei der Sammlung von EFES 42 handelt es sich um eine intime. Sie besteht aus Andenken aller Künstler*innen, die bisher im Verein für Skulptur ausgestellt haben. Diese Andenken sind keine fertigen Werke, sondern Ersatzteile, Kuriositäten, Verstoßenes, Widmungen und Unikate. Bei der ersten EFES-42-Ausstellung, 2017, war Christel selbst unter den Künstler*innen, die gezeigt wurden, weswegen auch von ihr eine Arbeit im Belvedere 21 zu finden ist. Und obwohl es „komisch ist, wenn man sich selbst ausstellt“ (Stefan), haben er und Felix auch jeweils eine ihrer Arbeiten dazu gestellt. Repräsentation, ausnahmsweise. Die Ausstellung der (An-) Sammlung findet auf Wagen 1 statt. Auf dem ist eine Wand so eingezogen, dass zwei Räume entstehen – wie zu Hause in Linz, wo es neben Werkstatt und Ausstellungsraum auch den Innenhof gibt, der für Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt wird. Um diese Spannung zwischen innen und außen zu markieren, wurden die beiden Räume mit überführtem Originalmobiliar anskizziert: Eine blaue Bank im „Hof“, ein Rollwagen für die „Werkstatt“. Das museale Setting, welches – zumindest in der Theorie – zum Konzept Off Space so gegensätzlich erscheint, gekapert. 23 Arbeiten werden gezeigt. „Ich bin Fan von gutem Licht“, sagt Stefan und deutet an die Decke, an der eine Neonröhre, parasitär angezapft, zu einer Zigarette transformiert wurde. Die kuratorische Aufgabe als Kunstraumbetreiber*innen sieht EFES 42 darin, Orte zu erstellen und Rücken freizuhalten, damit für die Künstler*innen die bestmögliche Nutzung oder Wahrnehmung der Bedingungen von Raum gewährleistet sind. „Sachen möglich machen“, sagt Stefan, sei die Aufgabe des Off Spaces.

Damit zurück zu einer Überblicksrunde in „Über das Neue“, zum auditiven Rundgang. Wagen 2, Reste und Scherben: es wird mit Materialität von Geschichte gearbeitet, die bekanntlich „aus Bruchstücken besteht“ (Erharter). Eine Arbeit von exilierten Kubaner*innen hat sich die Schaffung von Bewusstsein zum Ziel gesetzt, beschäftigt sich mit dem Konzept „Alibi“. Auf Wagen 3 gibt es riesige Malereiobjekte und Neutronensterne und Bojen aus Pappmaschee, die anhand des Begriffspaares Tod-Endlichkeit die Herkunft und den Gehalt von Bildern prüfen wollen. Außerdem, so Erharter, könne man sich die Arbeit „The Myth of the Liminal Old-Growth“ anschauen, die von Improper Walls ausgestellt werde, „ein mythischer Wald, eine Grenzzone des Übergangs zwischen Leben und Tod, angesiedelt im virtuellen Bereich“ (Improper Walls, übers. RP). Wagen 4: Seeungeheuer, Barock-Anleihen.

Schließlich: Das Herzstück bzw. räumlicher Mittelpunkt. Size Matters: „kleiner Raum, großes Programm“ (Erharter). Size Matters ist ein Raum für Kunst & Film in Wien, geleitet von Dariusz Kowalski und Sasha Pirker. Sie haben sich mit den Künstlerinnen Karolina Malwina und Almut Reichenbach zusammengetan, um Arbeiten zu präsentieren, die im Belvedere 21 und in ihrem eigenen Raum in der Margaretenstraße gezeigt werden. Diese Arbeiten kommunizieren sowohl per Videoschaltung als auch thematisch miteinander: So hat Karolina Malwina im Size Matters einen Mauszeiger aufgebaut, der mehrere Meter hoch ist, im Belvedere 21 gibt es parallel dazu einen Bildschirm, auf dem ein grüner Punkt ist. Daneben eine Computermaus. Der grüne Punkt zeigt den Onlinestatus an. Wenn die Maus sich nicht bewegt, dann erlischt der Onlinestatus. Aber Karolina Malwina hat ein Programm geschrieben, das eine Mausbewegung simuliert. Der Onlinestatus kann also beibehalten werden.

Eine andere Arbeit von Malwina beschäftigt sich mit dem Echo der Frauen in der Computergeschichte, insbesondere jener Frauen, die als Computer (von „to compute“ – rechnen) im späten 19. Jahrhundert tätig waren. Diese Frauen spielten eine entscheidende Rolle bei der Kartierung des Universums und in der Kryptografie. Die Arbeit wurde von Menschen ohne Hochschulabschluss erledigt, da sie als „basic job for people without a degree“ gehandelt wurde, wie Malwina erklärt. Ein Blatt Papier hängt vor der Projektion an einem Faden und wird von einem schnarrenden Ventilator bewegt, um die Arbeiter*innen zu rahmen und ihre Gesichter aus der Masse herauszuheben. Lüftergeräusch. Malwina erklärt, dass diese Frauen, die Pionier*innen der Computerarbeit, letztendlich rücksichtslos aus ihren Positionen gedrängt worden, als ein Einstellungstest eingeführt wurde, der höchste Hingabe von den Computerbedienern verlangte. „Die Geburtsstunde des Nerds“, sagt Malwina.

Size Matters verantwortet auch eine Lecture-Performance von Katrin Euller und Gianna Virginia Prein sowie das Kinoprogramm im Blickle-Kino am Eröffnungsabend der Ausstellung, von der Sasha Pirker, wie sie zugibt, kein Fan ist. Ihr gefällt es nicht, dass es ein Auswahlverfahren gibt, von den vielen Off Spaces und Projekträumen nur diese oder jene gezeigt werden. Fühlt sich an wie ein Best Of. Eigentlich sei das Prinzip Off Space als Gegenmodell konzipiert, zum Kunstmarkt, zum Podest. Der Off Space kann reagieren, ist kein starres Konstrukt, sondern steht für Lebendigkeit und ein wenig auch für den Irrsinn der Kunstschaffenden, bei denen es sich mehrheitlich um Meister*innen der Disziplin Selbstausbeutung handelt. Pirker fragte die Künstler*innen, wie sie es fänden, nichts zu zeigen. Für die, kam die Rückmeldung, wäre es schon gut, im Belvedere 21 auszustellen. Für den Lebenslauf. Das ist es ja: Alle profitieren. Das Haus, welches sich mit den Federn der Subkultur schmücken kann; der Space, der Raum, Infrastruktur und damit Möglichkeiten zur Repräsentation zur Verfügung gestellt bekommt, die Künstler*innen, deren Künstler*innenwert durch das Renommee der Institution steigt. Alle kritisieren und alle spielen mit.

Sie sehen, die Kollaboration, das ist die Zusammenarbeit mit dem Feind. Und handelt es sich beim eingangs erwähnten roten Faden der Vielfalt möglicherweise um jenen, der gerissen ist? Und last but not least: 300 Jahre Schloss Belvedere. Aufstieg und Niedergang der Arbeit von jungen Künstler*innen.

Off Spaces stehen vor der Herausforderung, ihre Authentizität zu bewahren, bevor sie von Institutionen einverleibt werden und ihre lebendige Atmosphäre durch museale Aspekte erstickt wird. „Man kommt nicht raus aus dem Dilemma“, sagt Dariusz Kowalski. Was die Leiter*innen der ausstellenden Räume eint, ist die „gemeinsame Befürwortung von Kunst“, wie Christel Kiesel von EFES 42 es auf den Punkt bringt. Sie sind überzeugt, dass Kunst stattfinden muss, und arbeiten kollektiv daran, wie sie dies um- und übersetzen können, wie man die Kunst lebendig halten kann. Oder wie Gianna Virginia Prein es in ihrer gemeinsamen Lecture-Performance mit Katrin Euller verlautbart: „Test, Test, Ok / Zumindest bin ich nicht allein“.

Euler und Prein, aber auch Kowalski, Pirker, Mawlina und Almut Reichenbach, alle tragen sie am Abend der Vernissage T-Shirts, die aussehen sollen, als wäre in ihnen geschwitzt worden. „Kurze Vorwarnung“, heißt es in der Performance weiter, „irgendwann kommt die erste Störung.“ Es werden Mittel künstlerischer selbstständiger Praxis aufgezählt: Preise ausdenken, verpacken, versenden. Und dann: „Alles von vorne / nur preislich angepasst“, „Ich fang auch langsam schon zu schwitzen an“, heißt es weiter.

Beim teilweise bei der Eröffnung durch die Gruppe bereits verstellten Ausstellungsbeitrag von Improper Walls erklärt mir deren Kuratorin Ale Zapata, dass die Gruppe ihren Beitrag zurückziehe, weil eine Gedichtwidmung zensiert wurde. Irritation: Belvedere-21-Kuratorin Christiane Erharter hatte in ihrem „mündlichen Rundgang“ den Wald ja noch inkludiert. Nächstentags folgt ein Statement von Improper Walls: „The curators censored the names and identities of two refugees who were an inspiration for the exhibited artwork.“ Improper Walls hatte ein Gedicht der 2012 verstorbenen, polnischen Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska auf eine der Außenwände ihrer Ausstellung aufgetragen. Eine der teilnehmenden Künstler*innen, Joanna Zabielska, hat dem Gedicht eine Widmung an zwei namentlich genannte Geflüchtete aus Palästina und dem Libanon, sowie „all the people suffering from forced displacement whose names we do not know and whose stories have gone untold“, hinzugefügt. Das kuratorische Team des Belvedere 21, so Improper Walls im Statement, habe sie einen Tag vor der Eröffnung diesbezüglich kontaktiert. Improper Walls führt an, sie hätten die Tatsache anerkannt, dass die Widmung aufgrund eines Fehlers in der grafischen Gestaltung zunächst als Teil des Gedichts erschien und stimmten daher einer visuellen Trennung zu, da es nie ihre Absicht gewesen sei, in das Gedicht oder seinen Inhalt einzugreifen. Das Belvedere 21 aber hatte die Haltung, die Namen der Geflüchteten zu benutzen sei ein einseitiges Statement, welches weder vom Kurationskollektiv noch von der Institution Belvedere getragen werden könne. Dann wurde, in Abwesenheit von Improper Walls, der Teil mit den Namen der Geflüchteten entfernt, übermalt und durch einen gedruckten Text ersetzt. Improper Walls haben inzwischen abgebaut. Sie fordern eine offene Debatte über Zensur in Kultur- und anderen Institutionen in Österreich. Das Belvedere 21 hat sich auch in einer Stellungnahme geäußert, dass es eine Widmung ablehne, „die sich uns in der aktuellen politischen Situation als israelfeindlich darstellt“, bzw es ablehne, diese „mit der Öffentlichkeit des Museums zu teilen, insbesondere in Hinblick auf den spezifischen historischen Kontext in Österreich“.

Christiane Erharter wünschte sich ihrer Rede eingangs, dass wir „zum Dialog zurückfinden“, zum Beispiel darüber, wie man an Ausstellungen teilnimmt, sie bekommt. Wie man mit der ganzen Sache Geld verdient, dabei aber doch solidarisch bleibt. „Die Auseinandersetzung mit der eigenen Szene ist eine Wiener Tradition“, sagt Stefan Brandmayr. „Linz“, sagt er, „denkt nicht über eigene Kunst nach.“ Muss es ja vielleicht auch gar nicht, kommen die Hauptstädterköpfe doch zu Besuch: Im November organisiert das Belvedere einen Ausflug nach Linz und besucht die Off Spaces Memphis, bb15 und das EFES 42. Der Linzer Off Space bb15 wird entsprechend des Ausstellungskonzeptes von „Über das Neue“ erst später in Teil 3 einsteigen.

Christiane Erharter wünscht Vergnügen bei der Ausstellung, aber auch ein Nachdenken. Über das Neue. „Wir können das Ganze wiederholen“, heißt es bei Euller & Prein, „aber dann ist es nicht mehr so interessant.“

 

EFES 42 – Verein für Skulptur
efes42.at

SIZE MATTERS. – Raum für Kunst & Film
sizematters.club

Almut Reichenbach
almutreichenbach.com

Karolina Malwina
karolinamalwina.net

Katrin Euller & Gianna Virginia Prein
katrineuller.com
giannavirginiaprein.com

„Über das Neue, Teil 1“, wurde in der Referentin 32 vorgestellt: mit den Linzer Räumen Memphis und Edition:. diereferentin.at

    Print       Email

About the author

ist Autor und Künstler und lebt in Österreich. ralfpetersen.info

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert