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Re: FUTURE (draft)

By   /  7. Juni 2024  /  No Comments

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Im April/Mai ist im Kunstraum Memphis die Gruppenausstellung Re:FUTURE (draft) gelaufen. Rasender Referentin-Reporter Ralf rapportiert von der Eröffnung und macht sich auch sonst Gedanken zu Sinn und Bedeutung von Geschwindigkeit. Der Text beginnt mit Originalpassagen des futuristischen Manifests, auf das sich die Ausstellung bezogen hat.

Ausstellungsansicht des Re:Works am futuristischen Manifest. Foto Jakob Dietrich/Kunstraum Memphis


„Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. […] Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag.  […] Ein Rennwagen, ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.  […] Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert.  […] Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein.  […] Wir wollen den Krieg verherrlichen — diese einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.  […]“

Filippo Tommaso Marinetti:
Manifest des Futurismus, Paris, 1909 (Beginn)


Das Manifesto del Futurismo: Ablehnung der Vergangenheit und Hom­mage an Geschwindigkeit, Maschinen, Gewalt, Jugend und Industrie; Ode an Modernisierung und kulturelle Erneuerung; ist 1909 erschienen – nicht als Flugblatt oder andersartig subversiv gegenkulturell in den Umlauf gebracht; nein: „splashed on the front page“ der französischen Tageszeitung Le Figaro, wie der britische Historiker Alex Danchev schreibt. MEMPHIS-Vorstandsmitglied Christine Eder trägt den futuristischen Aufruf schon länger mit sich: Als 20-Jährige angezogen vom revolutionären Ton, von „Rausch, Entgrenzung, Überholspur“ und der Ablehnung der Alten, die man nicht beerben will. „Wir, die kraftvollen jungen Futuristen, wollen nichts mit der Vergangenheit zu tun haben“, heißt es 1909. Heute ist für Eder die Faszination einem Entsetzen darüber gewichen, dass die von den Futuristen herbeigerufene Zukunft der Geschwindigkeit, Gewalt und Schlaflosigkeit längst Gegenwart geworden ist. Um der Deklaration eine Antwort gegenüber zu stellen, lud sie die Schriftstellerin Dominika Meindl ein, welche zur Vernissage ihr Manifest des FutUrismus vorlegt und im selben „von Linz aus […] voll mitreißender und zündender Heftigkeit in die Welt“ das Matriarchat ausruft. In Meindls Manifest wird Punkt für Punkt das Original abgearbeitet: Derlei „Gegenmanifeste“ sollten überhaupt, findet Christine Eder, in vielen Schubladen liegen, eigne sich der futuristische Aufruf doch hervorragend zum Widerspruch und zur Selbstbefragung: Was will ich von der und für die Zukunft? Faszination und Enthusiasmus der Pro-Krieg- und Zerstörungshaltung der Futuristen kann Eder sich von heute 20-Jährigen jedenfalls nicht vorstellen. Die letzte Generation schreibt nicht mehr die Alten ab, sagt lieber „Hört mal zu“, gleichwohl dieser etwas besserwisserisch anmutende Redeanlass auch performativ in der Beschmutzung von Kunstwerken und Kreuzungskleberei zu Tage tritt. Trotzdem: NO FUTURE! und Selbstzerstörung sind out. Warum sich kaputt machen? Doch bitte nicht für die Kunst (aber bisschen Blickkontakt zum Abgrund brauchts bekanntlich schon). „Die Futuristen waren so prägend“, sagt Eder, „sie hetzten gegen das Weiche, das Langweilige“; damit hätten sie eine gewisse Verantwortung für die Welt, die nach ihnen kam. Ober-Futurist Marinetti schrieb zwar: „Die Ältesten von uns sind dreißig: Wenn wir vierzig erreichen, werden andere, jüngere und mutigere Männer uns in den Mistkorb werfen. Und das ist was wir wollen!“; doch ob Dada-Capo Tzara oder Surrealismus-Papst Breton: die Nachfolgenden verwarfen nicht, wurden stattdessen selbst zu „Mini-Marinettis“ (Danchev). Erweiterungen aber gab es von Beginn an: Von Valentine de Saint-Point etwa, die 1912 in ihrem Manifest der Futuristischen Frau auf Marinettis „Verachtung für die Frauen“ reagiert und aufruft: „Frau, werde noch einmal erhaben ungerecht, wie alle Kräfte der Natur!“

Im MEMPHIS. Katharina Anna Loidl hat für Re: FUTURE (draft) die Arbeit SUSPICIOUS SPHERES zur Verfügung gestellt. Entstanden von 2017–2023, zeigen die schwarz gerahmten Grafiken Landschaften und Siedlungen. Loidls künstlerische Strategie ist die Beobachtung: Auch als DJ tätig, pflegt sie einen Mixed-Media Zugang von Synchronisierung, Cut-Up, Loop, Wiederholung & Differenz, um herauszufinden, mit welchen Techniken dem Überfluss an auffindbarem Material beizukommen ist. Ihre Sammlung von Spätromantik-Stichen, die man einst im Bezug zur eigenen „nahen Welt“ im bürgerlichen Haushalt aufhing, die aber auch immer „zu kippen drohen“ und auf die hinter ihnen liegenden Abgründe verweisen, hat sie durch die Ausradierung von Landschaftsteilen modifiziert; die nun entstandenen Freiflächen füllte Loidl mit durch Laserdruck eingefügten Kuppeln. Bei ihrer Arbeit sind Sci-Fi und spekulativer Realismus wichtiger Bezugspunkt: Die Suche nach Modellen, die Mögliches aufzeigen, dabei die Betrachtung selbst in Frage stellen: Was sehe ich hier; bloß Miniatur, vereinfachte Darstellung; oder doch Anleitung, Aufforderung, Anlass zu aufkeimendem Größenwahn? Es ist dies Anliegen der Ausstellung: Gegenmodelle entwickeln zur verkorksten Gegenwart. Modelle offenbaren Lücken, Falten, Spalten, Abgründe, Vakuum. Statt dem Befolgen einer Agenda, findet Loidl, sei es wichtiger, Widersprüche und Gegensätze zu beschwören und auszuhalten; die Zukunft finde sowieso statt. Düster wirken ihre Visionen trotzdem, wie Abgesänge auf eine Hoffnung, sie sich nie erfüllte; die retrofuturistische Idee, Biosphären-Instrumente könnten uns vor der Naturgewalt schützen: Niedlich, eigentlich – würbe nicht auch heute etwa der Chemiker Paul Crutzen dafür, Schwefeldioxid in die Atmosphäre zu schicken, um einen chemischen „Schutzschild“ zu schaffen, der angeblich in der Lage wäre, uns vor der Sonne zu schützen und folglich den Planeten wieder abkühlen würde. Aber der Krieg kommt nicht von der Sonne – dieser NATURGEWALT, die die Menschheit klein und vergänglich zeichnet; nein, er ist in unseren Köpfen: „War = Futurism intensified“, wie Marinetti schrieb. Loidl nutzt als Farbe gerne Schwarz: „Im Dunkeln“, sagt sie, „sieht man das Licht besser“; oder wie Futuristin Mina Loy 1914 in ihren Aphorismen über den Futurismus schrieb: „Die Zu­kunft ist nur von draußen dunkel. Springt hinein – und sie EXPLODIERT mit Licht.“

An der Decke im MEMPHIS hängt die Arbeit Satellite System des italienischen Künstlers Davide Allieri: Mit Stahl, Fiberglas, Sprühfarbe hergestellter Abguss einer modifizierten Satellitenschüssel – immer auf Sendung, immer auf Empfang, monochromatisch im patinierten Gelb. Seine zweite Arbeit Allieri heißt Fosco Fuoco. Sechs Kanister im roten Fiberglas; derlei Behältnisse, erzählt Allieri, enthalten häufig Gift: Das Kunstwerk als Geheimnisträger. „I am obsessed with containers“, erzählt Allieri. (Leere) Behälter sind für ihn etwas sehr Ursprüngliches, „something that was there all along“, ein „archetype of contemporary life“. Allieris Stil betont die Überbleibsel einer Zivilisation, die uns nachjagt, spukt. Auf der einen Seite bewirken diese zurückgelassenen Objekte ein Gefühl von Kühlheit, doch das Bekannte zeigt in ihnen auch die Geborgenheit. Als im März 2020 die italienische Regierung das Land unter Lockdown setzte, war Allieris Heimatstadt Bergamo die erste ROTE ZONE, wurde zum „dramatischen Chiffre einer Seuche, die nach China auch Europa traf“ (SZ). Täglich starben dort hunderte Menschen. „Reality looking like a movie“, sagt Allieri, für den die flickernden Lichter, permanenten Warndurchsagen, das Geisterhafte einen „real impact“ hatten, der in ihm eine postapokalyptische Vision hinaufbeschwor. Er begann mit der Modifikation und den Abdrücken und Abgüssen von gefundenen Objekten. Allieri mag es rau: Ist etwas „too clean“, drohe es, zum bloßen Design zu verkümmern, „without soul“. Bloß kein Regieren der glatten Oberflächen, elektrischen Reflektoren, farbigen Glasscheiben und Lichtstrahlen, Neon- und Ultraviolettröhren, wie die Futuristen es sich erträumten – und wie unsere Wirklichkeit ja ausschaut: Permanente Vernetztheit; eingebunden in ein Gewebe, ein Netz, das so schlaff ist, dass alles hindurchfällt. Raum zum Entspannen gibt es für unsere „mobilisierten Körper“ kaum, immer müssen wir in Bewegung bleiben, aufbrechen, und „Aufbrechen heißt sich fortbegeben, […] auf die Gewalt der Geschwindigkeit abfahren“, wie der französische Urbanist Paul Virilio schreibt oder der amerikanische Autotune-Mumble-Trap-Pionier Future es auf dem Track Zoom von seinem Album FUTURE besingt: „Turbo switchin’ lanes, Hublot switch your watch / Trappin’ switch the spots, when you’re runnin’ hot / Feet on the gas, trappin’ dem bags / Run up a sack and never look back / […] / I ran it up fast, I ran it up fast / I ran it up fast, I ran it up fast / I ran it up fast, I ran it up fast“. Weitere Bezüge zum Thema – außerhalb des direkten Ausstellungskontextes – winken: Es gibt da diese Star Wars-These: George Lucas’ Film, 1977 erschienen, habe mit seinen Darstellungen und Kulissen für immer die Vorstellung einer anderen Zukunft verbaut und jegliche Entwürfe einer potentiellen, postfuturistischen Zukunft verunmöglicht. Zu monumental und massenmedial verbreitet das Werk; das kollektive Menschheitsgedächtnis damit verdorben: Eine Zukunft des unaufhaltsamen Fortschritts, der in Katastrophe, Mutationen, Kolonialisierung anderer Planeten, autoritären Sehnsüchten, Wild-West-Phantasien münden muss. Das Linzer Labor zur Schaffung experimenteller Situationen Time’s Up hält dagegen, schlägt im Zusammenhang seiner langjährigen Auseinandersetzung mit Zukunft und „Zukünften“ in der letztjährig erschienen, „We are not futurists“ untertitelten Publikation Futures Brought to Life vor, „to future“ müsse als Verb begriffen werden und bedeute als solches „bringing possibilities for futures to the forefront of people’s minds“, denn schließlich sei die Zukunft „the place we will all spend the rest of our lives“.

Im MEMPHIS: Gleich beim Eingang grüßt Andreas Werners Arbeit dancing to a frenzied drum; hochformatige Zeichnung, Bleistift und Grafit auf Papier, fast 2,5 Meter hoch: Eine sich verbiegende Säule, der Starrheit für einen Moment entflohen; treffen wir die Flachkunst gewordene Skulptur in einem Moment erneuter Versteinerung, Knie oder Ellenbogen spitz wie ein Bohrkopf, ein Dorn, eine Waffe jedenfalls. An einem Holzrahmen hängt ein Kleiderbügel, an dem wiederum eine schwarze Lederjacke: DWMC (Dead White Men’s Clothing) NO. 118 von Jojo Gronostay. Gedanken an Revoluzzer, Rocker, Beat-Poesie, Marlon Brando, Terminator: Über die Straße rennen bei treibendem Verkehr, vielleicht genau dabei erfasst; vom Fahrzeug. Das Kleidungsstück erinnert noch die aufständische Geste, heute antiquiert. Malerin Ma­rianna Vlaschits präsentiert nebenan die drei Arbeiten Love Triangle, Celestical Me­chanics und Window. Gehangen am Fenster, ermöglichen die Bilder, abgerundet, als seien sie selbst
Elemente, vom Weltall geschliffen, einen Blick ins All und weisen zudem aus dem Glas heraus auf das Raumschiff an der Donaulände: Das Museum; der Ort, wo bekanntlich die Kunst hingeht: Zum Sterben. Neben dem grell-halligen Aus­stellungsraum ist die in Dunkelheit auf Sitz­kissen zu beschauende Arbeit Le Sacre du Printemps von ecoqueer artist Zheng Bo notwendiger Ruhepol der Ausstellung. Im Video treehumping inkl. Rum­gestöhne, nack­te Menschen wabern im Wald. Als die Akteur*innen niederknien, kippt das Bild kopfüber. Der Boden, das Moos rücken in den Vordergrund, die Bäume werden zum Barcode, das Bumsen zur körperlichen Ertüchtigung: Das Ritual als Akt des Wandels. Eröffnung im Frack: Dominika Meindl tritt auf. Als Bundespräsidentin in Ringelsocken mit Austria-Schärpe präsentiert sie ihre Überschreibung, das Manifest des FutUrismus: „Mut, Kühnheit und Auflehnung gegen das Patriarchat wer­den die Wesenselemente unserer Dichtung sein.“ Meindl weiß, heute „predige ich zum Chor“, aber „man kann es ja heraustragen“, ihre Ideen zur „Schönheit der Entschleunigung“.

Statt dem futuristischen Bruch mit der Vergangenheit schlägt Katharina Anna Loidl vor, solle man mit den „Bruchstücken der Kulturgeschichte“ arbeiten, wobei es wichtig sei, selber Material nicht nur zu erweitern, sondern auch zurückzulassen, damit es wieder als Ausgang zur Fortführung genutzt werden kann. Christine Eder, Regisseurin, berichtet, am Theater habe man bes­tenfalls gut funktionierende Fundus­systeme, könne teilweise sehr alte Kostüme wiederverwenden, aktualisieren, modifizieren. Vielleicht gelte es, die Kunst im Allgemeinen in losen Recycling-Zyklen zu organisieren. Doch, System, Organisation: Das birgt immer die Gefahr von Struktur, Starrheit, Wurzeln. Statt etwas anzupflanzen wäre es wohl erstrebenswerter, immer noch und immer wieder, Rhizome zu bilden, Netze rhythmischer Knoten. Vor Allem drängt sich die Notwendigkeit auf, die Vergangenheit zu mythologisieren und eine Geschichte zu schreiben, die ihrer Zukunft dienen kann. Oder, um mit Meindl zu schließen: „So schlimm is goa ned, wos mochma mit da Zukunft?“

 

Das Memphis ist ein Linzer Kunstverein.
Gesprächspartnerin war Christine Eder.
memphismemph.is
www.memphismemph.is/programm/re-future-draft

Davide Allieri ist Künstler. Er lebt in Mailand.
davideallieri.com

Katharina Anna Loidl ist Künstlerin.
Sie lebt in Linz.
lllk.at

Dominika Meindl ist u. a. Schriftstellerin.
Sie lebt u. a. in Linz.
minkasia.blogspot.com

Weitere Kunstwerke in der Ausstellung stammten von Zheng Bo, Mary Ellen Carroll, Jojo Gronostay, Marianne Vlaschits, und Andreas Werner.
zhengbo.org
mecarroll.com
jojogronostay.com
mariannevlaschits.com
andreaswerner.org


Benutzte Literatur:
Danchev, Alex: 100 Artists’ Manifestos. From the Futurists to the Stuckists, (2011)
Neyrat, Frédéric; Burk, Drew S. (Übers.): The Unconstructable Earth. An Ecology of Separation, (2019)
Time’s Up: Futures Brought to Life. We are no Futurists, (2023)
Virilio, Paul; Raulf, Ulrich (Übers.): Fahren, fahren, fahren …, (1978)

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ist Autor und Künstler und lebt in Österreich. ralfpetersen.info

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