Wohlgeordnet um den Tag der Arbeit lanciert, schlugen Sleaford Mods gleich zweimal in der Stadt ein. Pamela Neuwirth hat die Zwei-Mann-Formation aus Nottz im Posthof gesehen, sich die Dokumentation „Bunch of Kunst“ angeschaut und gibt auch sonst diverse Einblicke in die Rage.
Ratlosigkeit allerorts. Finanzkapitalismus und Geldroboter agieren als eigenständige Systeme, die Sozialdemokratie hatte angeblich nie eine Vision, um dem Neoliberalismus Etwas entgegenzustellen und JournalistInnen lassen sich zu der Annahme hinreißen, von Seiten der Intellektuellen sei zu den aktuellen Herausforderungen und Problemen im Weltgefüge Nichts zu hören. In der Philosophie beschäftigt man sich mit der „Acceleration“ und erzählt sich irrationalerweise Heilung durch eine rasante Zerstörung herbei. In dieser allgemeinen Richtungslosigkeit schreibt mittlerweile sogar auch das bildungsbürgerliche Feuilleton über die Band aus Nottingham und leitet aus den Interpretationen manche Erklärung für den Zeitgeist ab, wenn beispielsweise Die Zeit den Sleaford Mods zuschreibt, das „politische Geschehen in Echtzeit“ zu begleiten. Von der „wütenden Stimme des Prekariats“ ist im Spiegel die Rede. Sleaford Mods sind „Britains angriest band“, heißt es im Guardian.
England ist sicher speziell. Zwischen dem Größenwahn des British Empires, das auf Kolonialismus aufbaut, und einer Arbeitertradition, deren inhumane Härten von der Geschichtsschreibung die relativ neutrale Bezeichnung „Manchester-Kapitalismus“ erhalten hat, woran sich Marx und Engels abarbeiteten, irgendwo zwischen diesen geschichtlich aufgebauten Widersprüchen und Missverständnissen reagiert sich heute die Post-Punk, Electro-Punk, Minimalist und/oder Rap-Punk Band Sleaford Mods ab. Sleaford Mods sind radikal, obwohl auf der Bühne eigentlich nicht viel Ungewöhnliches passiert. Es werden nicht, wie bei KLF im Jahr 1994 große Geldmengen verbrannt. Sleaford Mods sehen nicht rot, es ist kein Affekt, kein blindes Wüten. Es ist eher kalte Wut in Verbindung mit Understatement, was sich auf der Bühne ausbreitet und das man ernst nehmen kann. Die Wut verteilt sich im Speichelsprühregen (mit Mineralwasser), perfekt im Scheinwerfer ausgeleuchtet weit übers Mikrofon hinaus. Jason wirkt trotz des ganzen Tour- und Konzert-Aufwandes beinahe sortiert. Der Sound vermittelt Kompromisslosigkeit, die aus dem Minimalismus entsteht.
Mit Dante im Schlachthaus
Retrospektiv betrachtet, können die Aussagen und Geschichten von Sänger Jason Williamson und Musiker Andrew Fearn in Interviews oder der Dokumentation „Bunch of Kunst“ auch verklärt werden. Die Dokumentation der Musikredakteurin und Regisseurin Christine Franz ist ebenfalls gerade im Moviemento in Linz gelaufen. Und damals, wie es Williamson gerne erzählt: „I had no money. I’d just have enough for a Mars bar, most days, and a can of Special Brew. And I wrote a song called Teacher Faces Porn Charges, about going to the shop in my pyjamas, to buy the Mars bar and the can“, damals war kein Ende der Situation in Sicht, stattdessen der Arbeitsalltag in der Hühnerfabrik. Neonlicht, zerteiltes Tier, Unterbezahlung. Mit Mitte Dreißig, so alt war Williamson bis er 2006 in Sachen Bandformation sein Heureka hatte, bedeutet eine dementsprechende Lebenssituation sicherlich Leidensdruck. Hier reicht die angespielte Verklärung hinein, die sich retrospektiv, ja beinahe klassisch aus Armut und dem Willen zum Ausdruck (Kunst) leicht hochstilisieren lässt. Aber eben nur im Rückblick funktionieren solche Erzählungen. Und verstellen den Blick. In der harten Realität des Existenzkampfes in Echtzeit ist nichts gesichert und erst später und nur selten kann eine triste Geschichte der Ausbeutung vom sogenannten Erfolg abgelöst bzw. dieser dazu erzählt werden, von JournalistInnen zum Beispiel: Williamson arbeitete in der Fabrik, zieht eine Analogie zwischen Schlachthaus und Dante, schreibt sich überhaupt den ganzen Frust runter und trifft dann zufällig den Musiker Andrew Fearn, ein „moody Smiths fan, who shocked his dad by becoming a vegetarian when he was 15“, wie The Guardian schreibt. Seit 2007 und bis heute sind bei A52, Deadly Beefburger Records, Harbinger Sound und Rough Trade insgesamt neun Alben der Sleaford Mods entstanden. Und bloß für kurze Zeit war Tied Up in Nottz / The Fear of Anarchy (Little Teddy Recordings, 2014) nur den lokalen Homies in Nottingham bekannt, bis es 2014 auf Youtube Klick machte und die Sleaford Mods Geschichte schnell viral wurde.
Unterirdisches England
Wer von unten kommt, bleibt am Boden. Das Talent zum Text – oder ist es Unbestechlichkeit? – hat sich mittlerweile über die Musik hinaus auch in anderen Textsorten manifestiert. Nachdem 2014 die Lyrics-Sammlung Grammar Wanker bei Bracket Press erschienen ist, wurde erst letzten Winter eine Kurzgeschichten-Sammlung Slaps From Paradise von Jason Williamson bei Amphetamine Sulphate veröffentlicht. Neben der aktuellen Dokumentation Bunch Of Kunst werden also mit dem 40seitigen Büchlein weitere Einblicke in das Vor-dem-Brexit-ist-nach-dem-Brexit-England möglich. Die inhaltliche Tendenz der Kurzgeschichten im Buch ist aber dezidiert weniger politisch, sondern dreht ab in Richtung sexuelle Obsessionen der englischen Unterschicht, wobei beim Leser freilich die Rolle des Voyeurs liegt, das klingt ein wenig nach Charles Bukowski. Insgesamt kann sich der Eindruck einstellen, dass es bei Sleaford Mods nun „literarischer“ wird und der bittere Sarkasmus zum grotesken Humor gebraut wird. Bier, ja. Wut, ja. Aber alles mit etwas mehr Finesse. Eine Entwicklung, für die man auch vor der Bühne ein Gefühl bekommt. Und während man im Konzert noch überlegt, ob es nicht doch ganz prima gewesen wäre, mit Sleaford Mods auf Augenhöhe den Konzertabend zu verbringen, in intimerer Clubatmosphäre als im Posthof, merkt man, dass die Umstehenden, der 60- wie die 20jährige KonzertbesucherIn neben einem, die Texte kennen und empfindet Solidarität.
Lamp Light Boogie. Re-press, re-press /
Bus cunt. Move then, mate. Move for fucks sake! /
The machine goes bleep. Ticketless. Sheep /
Baa baa crack sheep. Have you any rock? /
EDL twat. Tommy used to work on the dock. Union went all white. He fuckin’ loved it /
Take it down, there. Take it down, there. Camouflage. Humpty Dumpty. Crusades /
Blood on the hands of working class rage!
Von Christine Franz, der Bunch-Of-Kunst-Regisseurin hört man, die Auftritte von Sleaford Mods in England gehörten zu den besten, die sie bislang erlebt hätte und die Leute wären dort ziemlich abgegangen – aber es hätte wirklich nie eine aggressive Stimmung gegeben. Das hatte eher diese „Einer für alle, alle für einen“-Atmosphäre … da gab es gestandene Arbeiter, die schon seit Jahren auf keinem Konzert mehr waren. Und Sleaford Mods hantieren ziemlich hartnäckig an der bewährten Oben-Unten-Dichotomie und reißen in Skizzen an, was das im Alltag heißt. Es war ja auch ein fataler, wie weitverbreiteter Irrtum anzunehmen, der Klassenkampf wäre zu Ende.
Wer noch tiefer in das Sleaford Mods- nahe Milieu eintauchen will, kann das mit dem Film UK18 tun. UK18 verdichtet sich als Doku-Fiktion über Neoliberalismus, Neofaschismus und totaler Überwachung zu einer Science-Fiction-Dystopie, die momentan nur im Internet zu finden ist und in der auch Jason Williamson eine Rolle hat: Watch out for „The Soldier“!
Sleaford Mods – Tied Up in Nottz
www.youtube.com/watch?v=CFFWF1DnZKM