Sirup ist eine dickflüssige, konzentrierte Substanz, die durch Kochen und andere Techniken aus zuckerhaltigen Flüssigkeiten wie Zuckerwasser, Fruchtsäften oder Pflanzenextrakten gewonnen wird. Blütensirup ist vielseitig einsetzbar: Für die Zubereitung von Desserts oder Drinks zum Beispiel. Was das zu tun hat mit Club-Kultur in Linz? Untergrund-Aficionado Ralf Petersen hat im Kellergewölbe der Blütenstraße 1 in Urfahr nachgeschaut.
Linz, Stahlstadt und Linz, Stadt der elektronischen Kunst. OÖ-Landeshauptstadt, wo Bürgermeister und (inzwischen ehemaliger) Brucknerhaus-Intendant – wie man liest – klüngeln bzw. aus dessen Topf dieselben sich Ausflüge nach NEW YORK CITY finanzieren. In DOWNTOWN URFAHR ein etwas anderer Vibe als am Broadway oder im East Village; ja sogar ein anderer Vibe als am Linzer Hauptplatz: Dort Kopfsteinpflaster, Pestsäule, Kunstuniversität und die diskoähnliche Abfüllstation neben dem Döner – hier: Lentia 2000, frisch geteerte Gehwege, das Underground Café in der Unterführung Rudolfstraße, ebendort das leider (noch?) leerstehende – wie man hört – ehemalige Kokslokal ZIZAS. Also: Ab zur Blütenstraße. BIPA: Billige Parfümerie. Parfum: Sich mit Duftstoff benetzen, die eigene Attraktivität nicht nur über den Seh-, sondern eben auch über den Geruchssinn erfahrbar machen. Daneben (neben dem BIPA), auf den ersten Blick unscheinbar, schwarze Fassade, verspiegelte Tür: SIRUP – ein Ort für Kunst und Kultur, neuer Spielplatz für die freie Szene.
In Linz gibt es einige Orte abseits des Mainstreams; klar, große Museen, Galerien, andere institutionelle Orte sind eine Hilfe auf dem Weg zum Durchbruch – die kleinen, teils besser, teils schlechter geförderten, immer durch viele freiwillige Arbeit von enthusiastischen Idealist*innen am Laufen gehalten, möglich gemacht, gewährleisten allerdings den Herzschlag der lokalen, vielbeschäftigten Kreativszene. Zu diesen Orten gehören auch solche, die sich – mehr oder weniger und ohne Wertung – der Kategorie White Cube zuordnen lassen: Etwa das MEMPHIS (siehe auch Ausstellungsbesprechung in dieser Publikation) oder EFES42. Auch gibt es Räumlichkeiten, die vor allem für Veranstaltungen genutzt werden, etwa die der Kulturinitiative RAUMSCHIFF am Pfarrplatz. Es ist also für Künstler*innen und Kulturschaffende in Linz prinzipiell möglich, sich und ihre Arbeit einer Öffentlichkeit zu präsentieren, und zwar in freien und selbstständigen Kontexten. Natürlich geht derlei Arbeit mit Selbstausbeutung- und prekarisierung einher. Obwohl das hier nicht der Punkt sein soll, ist doch über die Belastung und den Stressfaktor zu reden: Kultur selber machen, Szenearbeit leisten, Alternativen zum Leben als Strom des Konsums aufzeigen – es wirkt schwierig, zu diesen Tätigkeiten so etwas wie einen AUSGLEICH zu finden; Möglichkeiten der Balance.
Kristina Maurer, Marlene Reischl, Matthias Zauner und Lisa Kainz, alle in der Linzer Kunst- und Kulturszene tätig, haben sich schon eine Weile nach einem Ort gesehnt, an dem sie ihre eigenen Ideen umsetzen können: Versuche, einen Ort zu gestalten, der der Kulturlandschaft womöglich fehlt. Im Hintergrund liegt das bescheidene Streben, einen eigenen Entwurf zu präsentieren – aus Lust an der Freude. Man beschäftige sich „hobbymäßig“ (Zauner) schon lange mit Musik, habe Spaß an Auflegerei, Tanzen – und Kunst. Um diesen Interessen gebündelt ein Zuhause zu geben, haben sich die Freund*innen einen Suchagenten bei WILLHABEN eingerichtet – ein Leerstand zur Bespielung sollte her. So hat man schließlich das ehemalige Tanzlokal Grand Filou gefunden: Einstmalige Institution des Urfahraner Nachtlebens, die Pforten geschlossen in den 90er-Jahren, nach einem Zwischenspiel als Bordell 15 Jahre nichts, wobei, wie lang genau der Leerstand anhielt, könne niemand so genau sagen.
Hinter der verspiegelten Tür auf der schwarzen Fassade finden sich Sirup-Gänger*innen im Treppenhaus wieder. Nach einem kurzen Geradeaus – links und rechts mit roten Rahmen geschmückte Spiegelfliesen – geht es die Treppe hinab in den Halbstock, wo ein Diorama als Ausstellungsort dient, wo ein Gefühl sich weckt, hier fehle bei einem Terrarium die schützende Scheibe, Schlangen könnten sich aus dem Geäst winden, und es geht weiter die Treppe runter, in die verruchten Räume des Kulturvereins Sirup. Derselbe gründete sich nach der Findung des Ortes; da Maurer, Reischl, Zauner und Kainz durch ihre eigenen Praxen im Antragstellen geübt waren, suchte man an und erhielt Linzer Kulturförderung. Linz gab Geld, auch an die SCHIESSHALLE im Süden der Stadt, die ebenfalls mit der Kombination Kunst und Tanzlokal liebäugelt und spielt. Ein gutes Gefühl: „Man wird gesehen“, „Wir sind da!“ Wie die SCHIASSN auch, bietet Sirup seine Räumlichkeiten über das Veranstaltungsgeschehen hinaus an für Meet-Ups oder Vorträge.
Ein bis zwei öffentliche Veranstaltungen im Monat, das ist das selbstauferlegte Pensum des Quartetts hinter Sirup. Ein Reiz des Kellerlokals Sirup – so häufiges Feedback – bestehe in der Neuigkeit: Ein Ort, an dem man auf der einen Seite noch nicht war, auf der anderen Seite den Abend dort verbringen kann: Erst Ausstellung anschauen oder Performance, dann Drinks, Dance, und vielleicht stundenlang mit fremden Menschen in der Karaokekammer Tophits grölen. Statt klinisch gecodete Vernissagen gibt es Kunstwerke in Séparées, deren bloßes Dasein Auskunft gibt über etwaig andere Nutzungsformen (lies: hier wurde gebudat), dazu – häufig gleichzeitig – Bass, Bass, Bass. Lärmbeschwerden, sagt Zauner, versuche man in positive Gespräche zu verwandeln: „Man kann mit allen reden“; statt bis um 4 gehe der Veranstaltungsbetrieb außerdem nur bis um 2: Rücksicht auf die Anrainer*innen. Manche von ihnen haben schon vorbeigeschaut, in den Keller, den sie noch aus seiner Grand-Filou-Zeit kennen. Vieles erinnert an die Vergangenheit: Der Tresen bzw. der Barbereich, wie stehengeblieben, nicht Neon und Glas (wie ich mir eine heutige Disko vorstelle), auch die Toiletten – angenehm gestrig, fantastisches Blau hypnotisiert die Sinne usw. Vom Ambiente aufgelockert frag ich investigativ nach dem Stand der Dinge bei den Barbetreiber*innen in spe: „Wie geht’s?“ – „Gut, danke. Und dir?“, entgegnen sie mir. Ich erzähle, ich sei gerade etwas depressiv verstimmt. Witzig, dass gerade ich über diesen Ort berichte: Seit ich vor anderthalb Jahren die Flasche an den Nagel gehängt habe, gehe ich schließlich abends nicht aus, sondern heim. Vielleicht ist genau das ein Faktor meiner Depression, an dem ich ein bisschen schrauben könnte: Rausgehen, abschalten. Ich verspreche, wiederzukommen, „wenn was geht“.
So lande ich also am 4. Mai im Sirup. Der Abend beginnt mit der Performance Controller?, einer Kooperation von Tänzerin Sonja Stojanovice und dem elektronischen Musiker Udasi. Kooperation bedeutet im konkreten Fall dieses Abends, eine Gleichzeitigkeit herzustellen und gleichzeitig zu dekonstruieren: Die Tänzerin, erst hinter Kabeln versteckt – eingebunden ins Netzwerk vielleicht – entzieht sich dem Geflecht der isolierten Drähte, entkommt, kehrt zurück, während, keine zwei Meter entfernt, das Mischpult des Musikers, verbunden mit einer vielbeknopften Geräusch-Maschine, besiedelt ist von dutzenden buntfarbigen Patch-Kabeln. Töne schwirren, Klänge dröhnen, Rückkopplung, Bass, Vibrationen und andere Manipulationen. Wer reagiert auf wen – Tanz auf Ton oder Klang auf Körper? Verkündeter Zielort von Controller? Das ist die Kommunikation, „where the border of control and controller blends in to the dance and intention becomes lost in the floor“. Im Anschluss – nach einer Verschnaufpause – geht’s in die Drei-Minuten-Disko, ein Club im Club, organisiert von DA HOLI WATA. Auch hier der FLOOR, denn der „Boden wird zu eurem externen Geschlecht, das Rauchwerk wird eure Sinne schärfen, das Licht wird sich als heiligstes offenbaren und euer Innerstes wird nach außen drängen“, wie es in der Verkündung der Gruppe heißt. Um auf diese vielversprechende Tanzfläche zu gelangen, stehen wir im Sirup vor einer Tür an, auf der ENDE steht, davor zwei Bouncer*innen; schwarzgekleidet, sonnenbebrillt verteilten sie Brausetabletten und Vodka-Shots. Dann geht’s rein: Drei Minuten loslassen, abschranzen. „Ein kurzer Aufenthalt bei uns verschafft eine Eintrittskarte ins Paradies“, verspricht DA HOLI WATA. Dann aber, Zeit vorbei, wird man rausgeschmissen; zurückgeschickt auf die Jagd nach seltenen Empfindungen, geht alles von vorne los.
SIRUP ist sich bewusst, auf einem schmalen Grad zu wandern: Club-Feeling, aber nicht darauf reduziert werden. Offen und locker sein, aber nicht als reiner Ausgehschuppen rezipiert werden. Zwar neigt die menschliche Intention, so Controller?, dazu, „patterns from chaos“ zu generieren, „recognizable constants from our past experiences that guide us through moods and feelings.“ Das Tolle an Mustern ist ja aber gerade, dass man ihnen nicht entkommen muss: Stattdessen verknüpfen sich in ihnen häufig vielschichtige Erfahrungshorizonte zu Bildern, die keinen Anspruch auf Gegenständlichkeit stellen. Und so geh ich wieder durch die bespiegelte Tür, im Treppenhaus an der unsichtbaren Schlange vorbei, reih’ mich ein, warte, dass man mich noch einmal für drei Minuten reinlässt, ins Paradies. „Hoffnung?“, frage ich. SIRUP sagt: „Im Prinzip schon: Alle Zeichen auf Hoffnung.“
Verein Sirup
Hinter Sirup – Verein zur Förderung von Kunst und Kultur steht ein Netzwerk von Künstler:innen, Kurator:innen, Kulturschaffenden und Coder:innen der Linzer Kunst- und Kulturszene, die mit August 2023 ihre Zelte im ehemaligen Tanzcafé Grand Filou nahe der Urfahraner Hauptstraße aufschlagen und in der neuen Basis ein breit gefächertes kulturelles Programm entwickeln.
Sirup hat es sich zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zum kulturellen Treiben im Stadtteil Urfahr zu leisten und sich aktiv an Prozessen der Stadtteil-Belebung zu beteiligen.
Sirup – Verein zur Förderung von Kunst und Kultur
Blütenstraße 1, A-4040 Linz
sirup-linz.at