Zitat 1 zu Beginn: Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. […] Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung […] Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert. […] Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes. […]
Diese Zitat-Auszüge stammen aus Marinettis Manifest des Futurismus, Entstehungsjahr 1909. Die Sätze markieren den Beginn eines historischen Künstler-Manifests, das vom Kunstraum Memphis als Ausgangslage der Kritik und künstlerischen Auseinandersetzung genommen wurde. Zur Ausstellung bitte im Heft weiterlesen, an dieser Stelle: Ja, man kennt das Manifest, und ja, es ist auch im Kontext der Zeit und ihrer Kunst zu lesen. Aber hier sei schlicht angemerkt: Es fallen einem immer wieder die Windungen aus dem Hirn, was die Kulturgeschichte und eine Sieger-Geschichte ganz allgemein betrifft: Die „Idealachse des Mannes“, der das „Weib“ verachtet, durchquert ja nicht nur in „angriffslustiger Bewegung“ das futuristische Künstler-Manifest, sondern beschreibt im Kern die tatsächliche DNA, den tatsächlichen Fuel, die tatsächliche Philosophie des Fortschritts generell; eines Fortschritts, der, ganz dialektisch, nicht nur eine zivilisatorische Entwicklung vom Lagerfeuer zu den Menschenrechten beschreibt, sondern eine Entwicklung vom Faustkeil zur Atombombe. Bis in die Jetztzeit hat das Schneisen des Todes hinterlassen. Wir sprechen ganz undiffizil von der desaströsen Achse WW1 und WW2 bis hin zu den Kriegen der Gegenwart. Was den Antrieb des frauenverachtenden Mannes und dessen Expansionsbewegung anbelangt, sind außerdem die Auswirkungen des Kolonialismus zu nennen, oder Auswirkungen einer Fortschrittsidealisierung, die in eine unumkehrbare globale Klimakrise gemündet hat. Ja, das rückt die Menschheit on the Edge. Ja, da stehen „wir“. Und „wir“ sind in dem Fall vermutlich wirklich mal „alle“ auf diesem Planeten.
Zitat 2 als Einschub: Hitzenotfallplan als wichtiges Werkzeug bei Extremwetterlagen: Hitzewellen treten häufiger auf und werden intensiver. Um den dadurch verursachten negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen zu begegnen und diese bestmöglich vor hitze- oder UV-bedingten Erkrankungen und Todesfällen schützen zu können, arbeitet die Stadt nun einen Hitzenotfallplan aus, der auch vom Klimabeirat befürwortet wird. Dabei sollen unter anderem vulnerable Personengruppen identifiziert sowie ein Hitzewarnsystem implementiert werden. Außerdem vorgesehen ist die Identifizierung von Kühlzentren sowie die Entwicklung eines „Stadtplans kühler Orte“.
Dieses Zitat stammt nicht aus einem dystopischen SF-Roman der 1960er-Jahre von irgendwo, sondern aus einer Presse-Aussendung vom 24. Mai 2024, das Linzer Stadtgrünressort betreffend. Dass wir in der Klimakrise angekommen sind, bzw. ein Hitzenotfallplan vorgestellt wird, ist übrigens keine Propaganda für die Grünen, sondern Tatsache – und betrifft Klimaprojekte, die der Gemeinderat der Stadt Linz insgesamt beschlossen hat. Damit Themenwechsel, aber weiter mit den guten Kräften der Stadt und politischer Haltung in Full Color: Wir verweisen auf die LGBTIQ+-Aktivitäten Büro für Gleichbehandlung, ein Text zu deren Aktivitäten bzw. zur Rainbow City findet sich auch im Heft.
Zitat am Ende, es sprechen die guten Kräfte der Kultur: Der Boden wird zu eurem externen Geschlecht, das Rauchwerk wird eure Sinne schärfen, das Licht wird sich als Heiligstes offenbaren und euer Innerstes wird nach außen drängen.
Dieses abschließende Zitat stammt aus einem Text von Ralf Petersen über den Linzer Kulturverein Sirup bzw. die Aktivitäten der Gruppe DA HOLI WATA. Wir meinen: Solange in der Kunst der Boden zum externen Geschlecht werden kann, ist noch nicht alles verloren.
Einige Kommentare mehr zu den Inhalten im Heft:
Im Nordico ist die Sommerfrische auf die Winterfrische geclasht. Wir behandeln das in dieser Referentin abgedruckte Flugblatt als erweiterten Teil einer letztlich nicht ausgestellten Arbeit – und betrachten die Referentin als eigentlichen Ausstellungsort. Mehr dazu im Text: „Eingeladen, ausgeladen, Themenverfehlung“.
Auch ganz interessant kleschen in Geros Text über Restitution, Raubkunst und Ausstellungspraxen die beiden völlig verschiedenen Ausstellungskonzepte der Orte Lauffen und Schmiding aufeinander – die koloniale Kritik macht’s möglich. Und auf die in der Ausstellung Das Leben der Dinge vorkommende Gruppe CATPC (übersetzt: Congolese Plantation Workers Art League) verweist auch Herta Gurtner, die über Anna Jermolaewa und die Biennale Venedig schreibt.
Soviel mehr Querverweise würde es an dieser Stelle noch zu ziehen geben, und auch so viel mehr Hinweise auf die amüsanten Aspekte, die die Ausgabe ebenso bietet.
Alles in allem geht es in der Referentin 36 aber wieder einmal um das Gegenprogramm zum weiberverachtenden Mann oder auch zur menschenverachtenden Frau, die sämtliche Idealachsen des Irrsinns verfolgen. Wir beschließen das Editorial deswegen mit einer aktuellen Nachricht aus dem Gruselkabinett der Welt: In Italien berufen neuerdings ultrarechte Regierungschefinnen neue Kunstbiennale-Präsidenten. Das ist am Ende von Herta Gurtners Biennale-Venedig-Text vermerkt.
Mit diesem Schlusssatz wiedermal mehr als tausend Worte gesagt haben die Referentinnen
Tanja Brandmayr und Olivia Schütz