Das Tangible Music Lab ist eine künstlerische Forschungsgruppe am Institut für Medienwissenschaft der Kunstuniversität Linz. Das interdisziplinäre Team erforscht experimentell die physikalischen Aspekte der musikalischen Mensch-Maschine-Interaktion. Ralf Petersen hat das Tamlab besucht und mit einigen Protagonist*innen gesprochen.
Klackern, Röhren, Sausen … Junge Menschen starren konzentriert auf die Apparaturen, die sie vor sich auf den Tischen konstruiert haben … Pfannen, Gläser, Münzen, Trommeln, Tassen, Feilen, Batterien, Schlüssel … und natürlich … Lautsprecher, Membrane, Kabel, Vibration! „It’s not rocket science“, sagt der amerikanische Klangkünstler und Tonhacker Nicolas Collins, „it always works.“ Collins leitet den Workshop „Tangible complex environments“. Grundlagen der Klangsynthese: „Wir haben die einfachsten Schaltkreise der Klangerzeugung anhand von elektromagnetischen Effekten erzeugt“, erklärt mir Student Felix Vierlinger, „Magneten in Spulen mit Batterien zum Schwingen gebracht. Magnete in Spulen sind in dem Fall Lautsprecher gewesen.“
Das Tangible Music Lab ist eine künstlerische Forschungsgruppe am Institut für Medienwissenschaft der Kunstuniversität Linz, das im Herbstsemester 2021 in einige leerstehende Räume der Tabakfabrik kam. Geleitet wird das Tamlab von Martin Kaltenbrunner. Was gelehrt und gelernt wird? Collins’ momentaner Auftrag an die Studierenden, die jetzt Kabel auseinanderschneiden und mit Lötkolben Kontaktmikrofone bauen: „Produce chaos!“
Enrique „Kike“ Tomás, Klangkünstler und Informatiker, ist Senior Lecturer am Tamlab. Er erzählt, dass die Studierenden aus verschiedenen Bereichen hierherkommen: Sozialarbeiter*innen sind darunter, Keramiker*innen, Designer*innen, Metallarbeiter*innen, Musiker*innen. Die Herangehensweise der Forschungsgruppe sei es, intangible, also nicht greifbare, Erfahrungen und Ereignisse, Schwingen, Klänge zu verkörpern, ihnen einen Raum zu geben oder einen Aufenthaltsort vielleicht. Auf diese Weise werden „new ways of expression“ (Tomás) gesucht, für die „intersection between sound art, computer music, locative media and human-machine-interaction.“ Bei dieser Arbeitsweise geht der Prozess allerdings selten von einer Frage aus, stattdessen ist es die Tat, die im Tamlab die Rädchen ins Rollen bringt. „We produce, manufacture“, sagt Tomás, „This results, for example, in consequences of a tonal nature. But not exclusively.“ Tomás erklärt: Technologie, Klänge, Theorie, alle drei Begriffe stehen an einer Spitze eines Dreiecks. Jede Spitze kann als Eingangspunkt dienen, zu einer Erforschung, einem Experiment, einem Instrument. Und da ist ja auch die ganze Erde, auf der wir leben, die sich dreht und, wie Bruckner betonte: klingt und vibriert.
Mascha Illich ist Studentin im Masterstudiengang Postdigital Lutherie, der vom Tamlab angeboten wird. Ihr Ziel ist die Synthese von technischem und künstlerischem Denken, ein anspruchsvolles Unterfangen, wie sie betont. „Ein gutes Kunstwerk dauert“, sagt sie. Illich glaubt, dass ein gutes Kunstwerk beide Seiten, die technische und die künstlerische, ansprechen sollte. Diese Synthese in Tönen erfordert Interaktivität und sollte keine reine Installation sein. Illich empfindet das Tamlab als noch zu technisch ausgerichtet und sieht mehr Potential hinsichtlich Diskussionen über künstlerisches Denken und Experimente. „Noch sind diese Aspekte sehr hinter dem Material und den Werkzeugen versteckt“, sagt sie. Illich kommt aus der Mathematik: Die Arbeit mit Klang schätzt sie auch wegen den klaren Strukturierungsmöglichkeiten in der Sound-Art. Aber: „Man kommt nicht ohne Fehler aus“, sagt Illich, „sie sind immer Teil vom Prozess.“
Sowohl Martin Kaltenbrunner als auch Enrique Tomás sind Programmierer und Coder. Aus diesem Grund wird am Tamlab mit Open Source Hard- und Software gearbeitet, um Wissen transparent zu gestalten und zur Zusammenarbeit einzuladen. Bei diesem Zugang handelt es sich laut Tomás allerdings nicht per se um einen dogmatischen oder antikapitalistischen. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage an sich, die fruchtbare Verbreitung von Wissen. Ein wesentlicher Aspekt der Open-Source-Praxis ist auch die Kosteneffizienz im Vergleich zur Verwendung kommerzieller Produkte. Wie Nicholas Collins in seinem 2004 erschienenen Buch Hardware Hacking betont: „Keep things cheap.“
Das Tamlab unterhält viele Kooperationen, darunter eine mit der Anton Bruckner Privatuniversität: Ein Pflichtmodul, bei dem Studierende an der Musikhochschule an einem Austausch mit Tonsatz- und Kompositionsstudierenden teilnehmen. Dieser Dialog fördert das aktive Zuhören als kreativen Prozess zur Schaffung von Welten. Und die Musikstudierenden? „Sind auch neugierig auf Synthesizer“, sagt Mascha Illich.
Das Tamlab hat derzeit vier PHD-Kandidat*innen, darunter die Medien- und Biokünstlerin, Komponistin und Bildhauerin Marie Lynn Speckert. Obwohl sie in einer musikalischen Familie aufwuchs, entschied sie sich zunächst für Bildhauerei und studierte Metall an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle: „Ein sehr handwerkliches Studium.“ Speckert ist – wie Mascha Illich – über den Dozenten (und PHD-Kandidaten) Jens Vetter auf das Tamlab aufmerksam geworden. Die Möglichkeit, Musik und Kunst zu verbinden, weckte ihr Interesse. Dieser Prozess, wie genau diese Verbindung gestaltet werden kann, ist für Speckert noch nicht abgeschlossen. „Ich bin immer noch auf der Suche“, sagt Speckert: Nach Formen, Klängen und Synthesen. Die enge Zusammenarbeit mit Technologie, wie sie im Tamlab möglich ist, hätte sie an ihrer früheren Hochschule für undenkbar gehalten.
Speckert lebt in Berlin. Sie besucht das Tamlab in Linz ein- bis zweimal pro Semester für eine „sehr intensive Woche“. In ihrer klangkünstlerischen Forschung projiziert sie Sound auf verschiedene Materialien und verfolgt Tonwellen. Ihr Hauptfokus liegt auf der menschlichen Anatomie und der Frage, wie sie Körper und Sound miteinander verbinden kann. Sie nutzt einen skulpturalen Ansatz, bei dem sie Material sammelt und bearbeitet, um Räume im Körper zu erkunden. Speckert will eine architektonische Karte des Körpers erstellen, aus klanglicher Perspektive und als Konstrukt, in dem sie die körperinternen Geräusche hörbar macht: Das Maximum an Sound herausholen. Dies erfordert einen geschulten Blick und ein geschultes Ohr, denn „Klänge sind Prozesse, die man anhand von Aufnahmen zeigen kann.“
Das Tamlab betont seine Ausrichtung auf künstlerische Forschung. Für Marie Lynn Speckert bedeutet dies, „standardisierte Methoden zu brechen und neue Methoden zu entwickeln.“ Es gehe darum, Sichtweisen und Denkmodelle zu schaffen, Perspektiven zu öffnen und die Forschung für andere zugänglich und interdisziplinär zu gestalten. Dies ermöglicht es, die Kunst auf neue Weisen zu betrachten. Die Frage der Präsentation von künstlerischen Forschungsergebnissen stellt sich jedoch als Herausforderung dar, da Ideen und Herangehensweisen sich ständig ändern und entwickeln. Dennoch betont Speckert die Bedeutung des Austauschs und der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, um „jede Art von Theorie und Wissen“ zu fördern: Ob in Medizin, Physik, Kunst oder Musik. Speckert betont außerdem die Rolle von Institutionen bei der Integration der Kunst in die Gesellschaft. Dies wird durch Kooperation, zum Beispiel mit der Bruckner-Universität, und Vermittlung, etwa durch angebotene Gesprächsrunden, durch das Tamlab gefördert.
Das Tamlab ist Teil einer internationalen Sound-Community und zieht bekannte Größen wie Nicholas Collins an, wenn sie auf Tour sind. Dass das Kursangebot nicht für andere Studierende der Kunstuniversität einsehbar ist – möglicherweise aufgrund begrenzter Kapazitäten – trägt zu einem gewissen exklusiven oder mysteriösen Ruf des Labors bei. Glücklicherweise gibt es auch außerhalb des Tamlabs Möglichkeiten, in die Welt der Oszillatoren einzutauchen. „Linz ist fruchtbar für elektronische Kunst“, sagt mir Mascha Illich, die mit dem Noiselab Linz Workshops anbietet, in denen man lernen kann, Synthesizer mit Lötkolben selbst zu bauen. DIY. Illich versteht Hacking als das Verstehen und Vermitteln von Wissen, um es einem breiten Publikum zugänglich zu machen. „Jeder Sound, den man erzeugt“, sagt Illich, „ist was Cooles.“ Sie begeistert sich für die physikalischen Eigenschaften von Objekten und für die Transformation zwischen verschiedenen Medien: So betrachtet sie etwa eine Großmetallskulptur als Schaltkreis. Auch Marie Lynn Speckert ist „auf der Jagd“, wie sie zugibt, nimmt ihre Umgebung mit einem Aufnahmegerät auf – sei es in der Wüste, in der Nähe von Insekten, in vermeintlicher Stille oder im Schnee. Immer am Forschen, was Klang denn eigentlich ist und sein kann.
Am Tamlab treffen Programmierer*innen mit technischem Ingenieursinteresse auf Tonhauer*innen, die Technologie in ihre künstlerische Arbeit integrieren möchten. Diese Zusammenarbeit ist der Reiz einer interdisziplinären Forschungsgruppe. Marie Lynn Speckert betont, dass es wichtig ist, auch Dinge abzugeben und dass nicht jeder alles beherrschen muss. Die Idee ist, „richtige Forschung“ als Künstler*in zu betreiben, was oft eine Gratwanderung zwischen Kunst und Wissenschaft darstellt. Dabei spielen Fragen der eigenen Moral und Zielsetzung eine Rolle: Geht es darum, ein Produkt zu schaffen oder die eigene künstlerische Handschrift zu erweitern? Soll man Projekte in Serie fertigstellen oder ein Gesamtkunstwerk komponieren? Der Diskurs ist wie die Erde, er klingt und vibriert, ohne Anfang und ohne Ende. Ähnliche Grundsatzfragen hinsichtlich Dokumentation und Archivieren: Das hat wichtigen Stellenwert, aber es ist entscheidend, dass es nicht zur reinen Werbung für Produkte wird. Stattdessen sollten sie das Material und „das, was man nicht sieht, in den Fokus zu stellen.“
„Mein Interesse ist“, sagt Speckert, „das Pferd anders zu satteln“, neue Ansätze zu verfolgen. Für das noch junge Tangible Music Lab ist es entscheidend, Studierende dazu zu ermutigen, experimentell zu arbeiten und auf vielfältige Weisen kreativ zu sein, um Fortschritte zu erzielen, Wissen zu vermitteln und bestehende Formen zu hinterfragen. Oder, wie Nicholas Collins es ganz gut auf den Punkt brachte: „Find some interesting sound in something stupid.“
Das Tangible Music Lab ist ein Forschungslabor, das von Martin Kaltenbrunner und Enrique Tomás geleitet wird.
tamlab.kunstuni-linz.at
instagram.com/tamlablinz
Mascha Illich ist Künstlerin, lebt und arbeitet in Linz.
maschaillich.com
Mascha veranstaltet mit dem Noiselab Linz Workshops, über die ihr euch hier informieren könnt: instagram.com/noiselab.linz
Mit Sophie Adelt organisiert sie das Noise Meetup, für dessen Mailverteiler ihr euch hier anmelden könnt: noisemeetup@servus.at
Marie Lynn Speckert ist Medien- und Biokünstlerin, Komponistin und Bildhauerin. Sie lebt in Berlin.
marielynnspeckert.de
Nicholas Collins ist Klangkünstler und Tonhacker. Er lebt in New York.
nicolascollins.com
Für Neugierige:
nicolascollins.com/texts/originalhackingmanual.pdf
Soundbeispiel des postdigitalen Instrumentenbaus, mit den Instrumenten vom Bild: Das Tangible Music Lab beim Festival der Regionen 2023 dorftv.at/video/42491