Die aktuelle Lentos-Ausstellung Atemzonen gibt zwischen Architektur und Kunst umfassenden Einblick in das Schaffen von Haus-Rucker-Co. Das zentrale Element Luft, die Stadt als sinnliches Spielfeld: Georg Wilbertz wirft nostalgische Blicke auf wilde Architektur.
„Wir liefen auf die Straße und fanden das Ergebnis umwerfend gut.“ So erinnert sich Günter Zamp Kelp 1988 an die erste temporäre architektonische Intervention der 1967 von den Architekten Günter Zamp Kelp, Laurids Ortner und dem Künstler Klaus Pinter gegründeten Gruppe Haus-Rucker-Co. Wie ein Raumschiff griff 1967 die pneumatische Raumplastik „Ballon für zwei“ von Haus-Rucker-Co in den grauen Straßenraum der Wiener Apollogasse. Der mit einem Staubsaugergebläse in Form gebrachte Ballon lieferte das erste inzwischen ikonisch gewordene Bild von Konzepten, Projekten und Realisierungen, die der britische Architekt Peter Cook unter dem Label „The Austrian Phenomenon“ zusammenfasste. Haus-Rucker-Co eröffneten 1967 den Reigen der sogenannten Wiener Gruppen (Coop Himmelblau, Zünd-Up, Salz der Erde und Missing Link), die eingebettet in verschiedene internationale Strömungen in den Jahren um 1970 nicht nur die Prinzipien der Architekturmoderne in Frage stellten. Sie wandten sich mit ihren Entwürfen und Konzepten auch gegen die Auswüchse des verhärteten Wohnungs- und Städtebaus der Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderjahre. Neben Graz war es vor allem Wien, das als überalterte Stadt im äußersten Winkel der westlichen Welt, zum Spielfeld der neuen, autonomen österreichischen Architekturszene wurde. Im Nachhall des Wiener Aktionismus und neuer performativer Kunstformen nach 1945 entwickelten die Gruppen und diverse Einzelakteure teilweise provokante Interventionen und Strukturen, die stärker als bei anderen der weltweit zu beobachtenden Strömungen und Gruppierungen auf den unmittelbaren Bezug von Körper, Psyche, Bewusstsein und Erleben setzten. Die enge Bezogenheit auf den Körper, seine sinnlichen Wahrnehmungspotentiale und die resultierende psychische Wirkung greift auf spezifische Wiener und österreichische Traditionen und Befindlichkeiten zurück. Viele der Entwürfe und realisierten Prototypen setzen den Körper (durchaus mit erotischen Konnotationen) in einen direkten Bezug zu den flexiblen, temporären Raumbildungen, die ihn umgaben oder in denen er sich bewegte.
Architektur und Gesellschaft
Ohne den Bogen zwischen Ursachen und Wirkungen überstrapazieren zu wollen, trafen diese neuen, ungemein kreativen Konzepte auf eine politische und gesellschaftliche Realität, die mit den Mitteln des Wohnungs- und Städtebaus versuchte, nicht nur allen ein Heim zu geben. Die Wunden des Krieges sollten geheilt, der neue Wohlstand gesichert werden. Stabile Architektur als Ausdruck einer stabilen Gesellschaft. Was sich im Gegensatz zu dieser Maxime als österreichisches Phänomen in Wien um 1970 herum ereignete, war bei allem Spiel eben auch politische Architektur und Kunst. In den verhärteten Stadtraum mit seinen ergrauten Bauten griffen flexible (oder Flexibilität suggerierende), temporäre Körper ein, die weniger als real nutzbare Behausungen gedacht waren. Es handelte sich um technoide, oft pneumatische Raummaschinen, die die Sinnes- und Körperwahrnehmung nicht nur der konkret darin Sitzenden, sondern der Gesellschaft insgesamt beeinflussen und erweitern sollten. Die Stadt wurde zum sinnlichen Spielfeld. Autonomie, Transparenz und Offenheit waren wichtige Zielsetzungen.
Die Utopien und die Nachwirkungen
Im oben beschriebenen Sinne wirklich gebaut haben die Wiener Gruppen und andere Protagonisten der „visionären Architektur“ (Günther Feuerstein) nur wenig. Dies, obwohl ihre Konzepte, so verschieden sie auch sein mochten, wichtige Alternativpositionen gegenüber der Wirtschaftswunder-Bauökonomie der Zeit nach 1945 darstellten. Ohne die Versuche zwischen 1965 und 1975 sähe das heutige Bauen in Österreich zweifelsohne anders aus. Nach 1975 ebbte die spielerische Radikalität ab. Hinsichtlich des Massenbedarfs und der Alltagstauglichkeit stellten die Versuche keinen wirklich gangbaren Lösungsweg dar. Was blieb, waren faszinierende Bilder, Modelle und Prototypen, wie sie in der eindrucksvollen Ausstellung im Lentos nun zu sehen sind. Und tatsächlich war die spektakuläre Bildproduktion, den ästhetischen Prämissen der Zeit entsprechend, ein wesentliches, durchaus legitimes Ziel des Ganzen. Die vermeintliche oder tatsächliche Ödnis der Nachkriegsmoderne (vieles wird zu Unrecht diskreditiert) wurde schließlich ab den späten 1970er Jahren abgelöst durch Postmoderne und Dekonstruktivismus. Nicht in pneumatischen Kapseln, sondern in einer ironisch verbrämten, aber liebgewonnen Rückwendung zu historisierenden Modellen und Vorstellungen von Architektur und Stadt landeten viele der wilden Helden der Jahre um 1970. Oder sie „sprengten“ symbolschwer die guten alten, überkommenen Werte von Bautypologie, Maßstab und Tektonik in die Luft, um hinter schräg versinkenden Fassaden und filmreif explodierenden Baukörpern doch wieder gut funktionierende Raumfolgen zu realisieren. Die problematischen Seiten dieser Entwicklungen sind hier nicht das Thema. Zumindest lieferten Postmoderne und Dekonstruktivismus erneut schlagkräftige Bilder, die den Diskurs in Fachwelt und Öffentlichkeit befeuerten.
Im Gegensatz zu den spektakulären, Aufmerksamkeit generierenden Entwürfen und Aktionen der Wiener Gruppen spielten sich die positiven Nachwirkungen der damaligen Impulse eher im vermeintlich Stillen ab. Dass Architektur autonomer, freier sein sollte und stärker auf die Bedürfnisse des Individuums angepasst werden müsste, wurde durch flexible, leider nur wenig Nachfolge findende Wohnkonzepte und durch die Idee des partizipativen Planens realisiert. Vor allem letzteres Instrument stellt bis heute ein zwar schwieriges, trotzdem probates Mittel dar, wenn es darum geht, gebaute Umwelt entgegen der Norm und ihren Verhärtungen lebenswert zu gestalten.
Der letzte Held
Übriggeblieben ist inzwischen eigentlich nur noch Wolf. D. Prix von Coop Himmelb(l)au (das kleine utopische „L“ ist längst eingeklammert), der immer noch den guten alten Rock ‘n‘ Roll einer brennenden Architektur à la Jimi Hendrix zelebriert, ohne (vielleicht?) zu merken, dass er selbst inzwischen zur international gefeierten Architekturfolklore gehört. Unter der Überschrift „Natürlich hätte ich in Katar gebaut“ gibt Prix im November 2022 all dies im OÖN-Interview zum Besten. Aus den aufrüttelnden Visionen der sinnlichen Spiele, autonomen Experimente etc. ist zwei Generationen später die ökonomisch motivierte, etwas altersweise Provokation „Ich baue für jeden“ (ätsch) geworden. Im Falle von Prix ist der Umstand, nicht in Katar gebaut zu haben, doppelt bemerkenswert: unter der sengenden Sommerwüstensonne dieses Emirats, in dem er ganz klar gebaut hätte, hätte seine Architektur erstmals wirklich gebrannt.
Zurück zur Ausstellung
Es ist, nimmt man den Begriff der Bildpolitik ernst, kaum erstaunlich, wie sehr sich die architektonischen Utopien von damals zur Musealisierung eignen. Der weite Ausstellungsraum des Lentos und die von Kamp Zelp selbst gestaltete Ausstellungsarchitektur bieten eine Offenheit und Ortlosigkeit, die die Vielfalt der Exponate im Überblick UND im Einzelnen erfahrbar machen. Im Zusammenhang der Gesamtschau wirken die einzelnen Arbeiten und Artefakte wie befreit. So können viele der gezeigten Entwürfe, Objekte und Konzepte ihren unmittelbar wirksamen ästhetischen und utopischen Reiz entfalten. Die museal-ästhetische Faszination wird nochmals dadurch gesteigert, dass der retrospektive Blick zurück heute in einer Zeit stattfindet, die von vielen bedenkenswerten Architekturhaltungen geprägt ist. Der Stadtraum (im Wortsinn) spielt aktuell – zumindest in Linz – nur noch eine untergeordnete Rolle. Architektur erfüllt unter der Maxime des (fast) alles dominierenden Pragmatismus vor allem ihre ökonomischen und funktionalen Vorgaben. Und: Das Bauen ersäuft in Normen. Dass gesellschaftliche Herausforderungen einen Niederschlag in architekturästhetischen Debatten oder gestalterischen Diskursen finden, ist heute – von akademisch-theoretischen Diskursen abgesehen – die Ausnahme. Einzig die ökologischen Fragen der Gegenwart wirken diesbezüglich impulsgebend. Und auch wenn ökologisch ausgerichtetes Bauen nicht unbedingt radikal künstlerische Ziele verfolgt, erwachsen zumindest manche ästhetisch neuen, teilweise faszinierenden Gestaltungen daraus. Schon um 1970 entwickelten die alternativen Architekturgruppen ein erstes Bewusstsein für Umweltfragen. Wohin die ökologische Reise geht, war bereits vor 50 Jahren in weiten Zügen vorhersehbar. Daraus, wie verschiedentlich postuliert, einen direkten Bezug zum ökologischen Bauen unserer Zeit abzuleiten, dürfte aus verschiedenen Gründen eher schwerfallen. Die Relevanz der Ausstellung im Lentos, die durchaus nostalgische Gefühle triggert, dürfte auf einer anderen Ebene liegen. Sie zeigt, dass autonomes und alternatives Denken und Gestalten auch im trägen Feld der Architektur jederzeit möglich sind. Bewegt man sich durch die Straßen von Linz und schaut hinter die Bauzäune, ist das ein tröstlicher Gedanke.
Haus-Rucker-Co.: Atemzonen
Mit ihren Arbeiten zwischen Kunst und Architektur zählt die Gruppe Haus-Rucker-Co (1967 – 1992) zu einer der wichtigsten Positionen in der österreichischen Nachkriegsavantgarde. Anhand sechs Kapitel gibt die Ausstellung einen umfassenden Einblick in die Arbeit der Mitglieder, darunter die Architekten Laurids Ortner, Günter Zamp Kelp, der Maler Klaus Pinter, sowie ab 1971 Manfred Ortner. Der Titel Atemzonen verweist auf die zentrale Bedeutung des Elements Luft im Schaffen von Haus-Rucker-Co und schlägt eine inhaltliche Brücke zu wichtigen Werkgruppen, wie sie etwa in der Ausstellung COVER. Überleben in verschmutzter Umwelt (1971) gezeigt wurden. Mit dem Ankauf des Archiv Günter Zamp Kelp durch die Stadt Linz übernahm das Lentos Kunstmuseum 2020 bedeutende Werkbestände von Haus-Rucker-Co. Die Ausstellung präsentiert erstmals wesentliche Teile dieses Konvoluts.
Kunstmuseum Lentos, noch bis 25. Februar 2024
Ballon für 2 von Haus-Rucker-Co, 1967, befindet sich am Cover dieser Referentin.