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„Keine Gewalt, sondern Erkenntnis!“

By   /  30. August 2019  /  No Comments

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Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie von Porträts über frühe Anarchist_innen und den Anarchismus als eine der ersten sozialen Bewegungen überhaupt. Andreas Gautsch schreibt in dieser Ausgabe über Karl F. Kocmata – einen Anarchisten und Zeitungsherausgeber mit rauem Tonfall.

„Die Österreichische Scheißfreundlichkeit wurde revolutioniert. Das Produkt dieses Tuns war die Wahl in die Nationalversammlung. (…) Aber die Danke schön-, Bitte sehr- und Küß die Hand-Republikaner, dieses Volks ohne Rückgrat und Besinnung, das zu den monarchistischen Fes­ten und Festzügen mit derselben Begeisterung lief als es sich zur Wahl in die Nationalversammlung wie eine Schafherde treiben ließ, dieses Volk holt seine Gesinnung aus den vergifteten Quellen des deutsch-österreichischen Blätterwaldes.“ (Revolution, Nr. 1, Jänner 1919, S. 1)

Von der Revolution! bis zur Ver!
So polterte vor hundert Jahren, im Jänner 1919, der Anarchist, Schriftsteller und Re­dakteur Karl Friedrich Kocmata im Leitartikel der ersten Ausgabe seiner Wochenzeitung Revolution!. Der Autor war zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter mehr. Bereits im letzten Kriegsjahr hatte er den Jungen und Wilden der expressionistischen Avantgarde, zu der er ebenfalls zu zählen ist, mit der von ihm 1917 gegründeten Zeitschrift Ver! ein Sprachrohr gegeben. Neben Gedichten, kunstvollen Gra­fiken, meist Linolium- oder Holz­schnit­ten, finden sich darin zeitgenössische Auseinandersetzungen über Krieg, Naturheilkunde, die Lebensreformbewegung, wie auch über das Schaffen von Egon Schiele oder das letzte Schönbergkonzert. Hinzu kommen ausführliche Hom­magen an die Säulenheiligen dieses Ver!-Kreises: Karl Kraus und Peter Altenberg. Letzterer steuerte Titel und Schriftzug der Zeitschrift bei. Der Literaturwissenschaftler Thomas Reineke zählte über 100 Mitarbeiter_innen, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens von 1917 bis Jänner 1919 dort publizierten, die meisten Namen sind heute vergessen, abgesehen von dem bereits erwähnten Peter Altenberg oder dem Anarchisten Erich Mühsam.
Kocmata selbst trat in der Zeitschrift eben­falls als Autor in Erscheinung, beispielsweise mit einer Kritik am herrschenden Literaturbetrieb. Er sah die Aufgabe der Literatur in der Volksbildung und nicht in der Unterhaltung. „Mich dünkt, daß gerade dies fade, unwahre Ästhetisieren dem Schrifttum in Österreich schwere Nachteile brachte. Das Lesepublikum wur­de verzogen: Das Lesen, das eine Angelegenheit auch des Denkens sein soll, wurde ihm zu leicht gemacht, wenn man es nicht gar als überflüssig betrachtet.“ (Ver!, September,1917, S. 30) Die damals wie auch heute ökonomisch schwierige Situation für Autor_innen kritisierte er ebenfalls und vertrat hier die Ansicht, dass die soziale Frage der Kulturschaffenden nur von diesen selbst zu lösen seien. Wie das aussehen könnte, führte er in diesem Artikel nicht näher aus, sondern begnügte sich damit, seinen Pessimismus hinsichtlich einer staatlichen Unterstützung kundzutun: „Heute weiß ich, daß der Staat wohl ein Interesse an der Förderung der Volksbildung haben sollte, doch ist jegliche Hoffnung auf diese Unterstützung aussichtslos.“ (Ver! September 1917, S. 31)

Vom Gesindel zur Avantgarde
Diese Skepsis gegenüber dem Staat entspricht nicht nur seiner anarchistischen Einstellung, sondern auch seiner eigenen Lebenserfahrung. Als sechstes Kind einer Wiener Arbeiterfamilie im Jahre 1890 geboren absolvierte er zunächst eine kaufmännische Ausbildung und entwickelte sich in den 1910er Jahren zu dem für die anarchistische und sozialrevolutionäre Bewegung typischen autodidaktisch gebildeten Intellektuellen. Diese vertrauten auf ihren Wegen der Befreiung und Selbstermächtigung weniger den Versprechungen und Politiken der dominierenden sozialdemokratischen Bewegung, sondern den anarchistischen Idealen der individuellen Autonomie und gegenseitigen Hilfe. Obwohl Kocmata ein Mensch der Worte war, entwickelte er keine eigene anarchistische Theorie, sondern orientierte sich an Personen wie Leo Tolstoi, Pierre Ramus oder Peter Kropotkin. Er war mehr ein Praktiker – Redner, Journalist, Dichter und Her­ausgeber und zählte, neben Pierre Ramus, Olgar Misar und Max Nettlau zu den auffälligeren Anarchist_innen der ersten Jahr­zehnte des 20. Jahrhunderts in Österreich. Zumindest, wenn man den schriftlichen Output als Gradmesser nimmt.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg bewegte sich Kocmata in den anarchistischen Kreisen um den bereits erwähnten Ramus (Rudolf Grossmann). Dieser hatte Anfang des 20. Jahrhunderts der anarchistischen Bewegung in Österreich, dank seiner umtriebigen propagandistischen und publizistischen Tätigkeiten, wieder neues Leben eingehaucht. In seine Zeitschrift Wohlstand für Alle!, die für Herrschafts- Gewaltfreiheit stand, verfasste Kocmata unter dem Pseudonym Karl F. Heiding seine ersten Artikel. Im Jahr 1911 brachte er auch seine erste eigene Zeitschrift, die den klingenden Titel Das Gesindel. Monatsschrift für die Wiener Gesellschaft, trug, heraus. Ramus lobte diese als „eine ganz eigenartige Produktion unserer Wiener Zeit­schriften-Literatur, die an Lesbarem unendlich arm ist. Der Geist der Freiheit weht durch das Heftchen und verdient dieselbe Beachtung und Förderung seitens aller Vorkämpfer für ein neues Leben und für eine Revolution auf dem Gebiete unserer heute so korrumpierten und hohltönenden Literatur.“ (Ohne Herrschaft. Literarisches Beiblatt des „Wohlstand für Alle“ Nr. 5, Mai 1912,) Im Folgejahr war jedoch bereits Schluss mit dem Gesindel, stattdessen gründete er den Adria Verlag und brachte u. a. einen Gedichtband von Hugo Sonnenschein heraus. 1914 ging er nach Berlin und trat dort mit Franz Pfemfert, Herausgeber der bedeutenden Zeitschrift Die Aktion in Kontakt. Der Stam­mersdorfer Arbeitersohn war nun im Zentrum der linken, expressionistischen Avant­garde angekommen.

Gegen Krieg und seine Apologeten
Zurück von Berlin, der Krieg war ausgebrochen, kam er zunächst in Untersuchungshaft, später wurde er für kriegsuntauglich erklärt und im November 1917 zog man ihn ins Kriegspressequartier ein, wo er Schriftleiter der vom freisozialistischen Reichsratsabgeordneten Simon Starck herausgebenen Zeitung Neue Bahnen wurde. Wie bereits erwähnt begann er in diesem Jahr auch mit der Zeitschrift Ver!. Mit dem Zusammenbruch des Habsburger Imperiums und dem Ende des Ersten Weltkrieges machte sich eine Aufbruchsstimmung breit, in der in Wien dutzende Zeitschriften und Zeitungen gegründet wur­den. Jede sozialistische oder intellektuelle Strömung und Vereinigung hatte ihr publizistisches Organ und Kocmata beendete Jänner 1919 seine Ver! und setzte nahtlos mit der anarchistischen Zeitschrift Revolution! fort. Die verschiedenen Zeitschriften waren sowohl künstlerische Ausdrucksmittel als auch Orte politischer Aus­einandersetzung, Diskussion und Schreibgefechte, womit wir beim Spezialgebiet Kocmatas gelandet wären. Wie im Eingangszitat ersichtlich liebte er den rauen, polemischen Tonfall mehr als die feine Klinge. Sein Spott und seine Verachtung galten vor allem jenen Schriftsteller_innen, die sich in den Zeiten des Kriegs für die Kriegspropaganda einspannen ließen und sich nach dem Krieg ganz republikanisch oder gar revolutionär gebärdeten. Den Kriegsdichtern widmete Kocmata bereits 1916 eine scharfe Polemik. In der letzten Nummer der Revolution!, die im Jänner 1920 erschien, kam er nochmals darauf zurück und verfasste einen wunderbaren Leitartikel, in dem er seine Kritik an Autor_innen wie Felix Salten, Alfred Petzold, Alice Schalek noch einmal bekräftigte. „Nicht oft genug können die Namen dieser Menschen genannt werden (…) da die Tinterln gesund und munter sich die Augen reiben und sich einer Neuorientierung der politischen Verhältnisse unterziehen, sich diesen Verhältnissen geschickt und gewandt anpassen.“ (Revolution, Nr.33/34, Dezember 1919, S. 1)
Als bekennendem Kriegsgegner und Antimilitaristen waren ihm nicht nur diese intellektuellen Wendehälse ein Gräuel, sondern auch jeglicher Patriotismus und das in der noch jungen Republik wieder auflebende Heeres- und Milizenwesen. Kocmata lehnte jede Form von Zwang und Waffengewalt ab und schaffte hierfür die Kurz­formel: „Keine Gewalt, sondern Erkenntnis!“ (Revolution, Nr. 19, 28.Juni 1919, S. 1)

Vom Ende der Revolution und Rückzug von der Bewegung
Mit dem langsamen Abklingen der revolutionären Phase in Österreich wandte sich Kocmata zu Beginn des Jahres 1920 verstärkt der proletarischen Bewegung und Fragen des Klassenkampfes zu. Zusammen mit Genoss_innen versuchte er ein Organ einer anarchistisch-syndikalistschen Gewerkschaft, den Arbeiter-Kampf auf die Beine zu stellen. Die Zeitung existierte jedoch nur ein paar Ausgaben lang. Anschließend zog sich Kocmata von der anarchistischen Bewegung immer mehr zurück. Seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit Pierre Ramus zerbrach in einem Streit, der sich bereits 1919 abzuzeichnen begann und in der Zeitung Revolution! nachlesbar ist.
Von 1921 bis 1925 arbeitete Kocmata bei der in dieser Zeit sozialdemokratisch ori­entierten Tageszeitung Der Abend, verfasste zwei Schriften über Prostitution in Wien und arbeitete danach als Redakteur bei kleineren Blättern. Über seine Tätigkeiten in den 30er Jahren ist kaum etwas bekannt und überliefert. Soweit es sich anhand von Aussagen seiner letzten Weggefährten rekonstruieren lässt, verstarb Kocmata verarmt und vereinsamt, physisch und psychisch zerrüttet, im Winter 1943 auf einer Parkbank in Wien. (vgl. Thomas Reinecke: Karl F. Kocmata und Ver!-Kreis, in: Klaus Amann, Armin A. Wal­la (Hg.), Expressionismus in Österreich. Literatur und die Künste., Wien, 1994, S. 110)

 

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch entstanden.

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Institut für Anarchismus­forschung, siehe auch anarchismusforschung.org

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