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Brückenschlag zur Erinnerung

By   /  1. Dezember 2015  /  2 Comments

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Die Linzer Nibelungenbrücke ist eine Hinterlassenschaft der NS-Zeit. Das Projekt brücken:schlag will an Erinnerungsorte führen: Zeitgeschichtliches zur Brücke und an den Donauufern. Christian Pichler sprach mit Initiator Wolfgang Schmutz, der bis 2014 auch an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen tätig war.

Beim brücken:schlag-Pilot-Rundgang stand die Testgruppe an der Nibelungenbrücke. Heutige Realität überlagerte sich mit der Realität von 1944. Foto Oberösterreichisches Landesarchiv

Beim brücken:schlag-Pilot-Rundgang stand die Testgruppe an der Nibelungenbrücke. Heutige Realität überlagerte sich mit der Realität von 1944. Foto Oberösterreichisches Landesarchiv

brücken:schlag – Auf Tonspuren durch die Linzer Zeitgeschichte
Zeitgeschichtliche Rundgänge durch die Stadt Linz finden derzeit als klassische Touristenführungen statt, auf Anfrage und vor allem in der ehemaligen Luftschutzanlage „Limonistollen“. Ein permanentes Angebot für den Linzer Stadtraum, das die offene Diskussion mit den Teilnehmenden sucht, fehlt jedoch. Das neu entwickelte Konzept von brücken:schlag verbindet nun Audio-Elemente, sowie Fotomaterial mit einem moderierten Rundgang. Auf dem Weg vom Hauptplatz über die Nibelungenbrücke wird zum Gespräch über die Bedeutung historischer Ereignisse und deren subjektiver Erinnerung eingeladen.
Der Pilot-Rundgang von brücken:schlag fand bereits im Juni mit interessiertem Testpublikum im Rahmen eines Kepler-Salons statt, mit anschließender Diskussion. Das Format wird derzeit weiterentwickelt. Im Artikel werden einige dieser Stationen und inhaltlichen Schwerpunkte nachgezeichnet.

„Wie soll ich die Reise beschreiben? Es würde vielleicht genügen, wenn ich mein einziges Verlangen zu sterben schilderte. Ja, sterben, und nichts anderes. Nicht die Ankunft im Ungewissen; nicht, dass ich die Lukenöffnung, bevor ich die Hosen voll habe, erreiche; nicht, dass ich meinen ständig quälenden Durst lösche; nicht, dass ich an der Reihe bin zu sitzen. Nein, das alles übersteigt mein Wunsch zu sterben. (…) Wir sind in Linz. Außerhalb des Hafens, streng durch SS-Wachmannschaften abgesondert, wie Schwerverbrecher umzingelt, ruhen wir uns von unserer Höllenfahrt auf dem lauen Sand des Donauufers aus. Unsere Knochenbrigade bevölkert kilometerweit, so weit die Augen reichen, das abschüssige Flussgelände. Fernes Glockengeläut gesellt sich zum träumerischen Murmeln der Wellen.“

Auszug aus dem Bericht von Ladislaus Szücs, der im März 1945 via Donau mit anderen Häftlingen aus dem KZ Melk evakuiert wurde. Szücs überlebte noch das KZ Ebensee, das am 7. Mai 1945 befreit wurde. Seine Erinnerungen erschienen 1995 unter dem Titel „Zählappell“.

Ein Foto von 1944, es zeigt Passanten auf der Nibelungenbrücke. Im Bild rechts zu sehen am Geländer hängen Bomben im Abstand weniger Meter. Sehr wahrscheinlich sollte die Brücke im Notfall gesprengt werden, aber anders als Wien wurde Linz kampflos übergeben.

Linzer Hauptplatz am 1. März 1938. Zehntausende jubelten Hitler zu und bestärkten so den zuvor noch Zaudernden, die Ostmark gleich zur Gänze „heim ins Reich“ zu holen. Warum haben die Menschen gejubelt? Wie viele von ihnen waren überzeugte Nationalsozialisten? (Was IST ein Nazi?) An dieser Stelle hakt Wolfgang Schmutz ein, der mit Mitstreiter_innen* „brücken:schlag“ konzipiert hat. Ein Projekt, das Erinnerungskultur mitten in die Stadt rücken soll. Schmutz: „Zurecht wird der Nationalsozialismus als ein Gewaltsystem erinnert, nur wird immer noch wenig beleuchtet, dass der damit einhergehende Profit für die Mehrheitsbevölkerung explizit vermittelt und auch verstanden wurde. Das zu zerlegen und sich von dieser Seite anzunähern, banalisiert gar nichts, es macht es sogar noch schwieriger, den Ereignissen zu begegnen. Was heißt es, wenn die Bevölkerung mehrheitlich massiver Gewalt zustimmt oder diese zulässt, weil sie weiß, worin der Profit liegt?“

Das Jahr 1938. Linz sollte als „Führerstadt“ dem „jüdischen“ Wien Konkurrenz machen. Statt Provinzstadt eine Metropole, die von 100.000 auf 400.000 Einwohner wachsen sollte. Im Linzer Schloss woll­te der Aquarellist seinen Altershintern zur Ruhe setzen, nachdem er die halbe Welt in Brand gesteckt hatte. An der Bahnhofsmeile, nahe dem heutigen Musiktheater, war ein „Führermuseum“ geplant. Im Mai 1938 Spatenstich zur Errichtung der Hermann-Göring-Werke (heute voestalpine). Monumentalbauten entlang der Donau, so der Plan, eine neue große Brücke stand an erster Stelle. Im September 1938 begannen die Bauarbeiten, 1940 war die Brücke in wesentlichen Teilen fertig, weitergebaut wurde bis 1942. Hitler benannte sie Nibelungenbrücke, eine Idiotie des dilettierenden Mythologen: Dem Nibelungenlied gemäß setzten die Nibelungen im bayerischen Mehring über die Donau. Linz wird in dem Epos nicht erwähnt.

Die Nibelungenbrücke. „Als Baustoff für die Nibelungenbrücke kommt unter anderem Granit zum Einsatz, der im nahegelegenen KZ Mauthausen unter brutalsten Bedingungen abgebaut wird.“ Diese Nie­derschrift, Produkt des großartigen Linz09-Projekts „in situ“, war eine Weile auf den Steinplatten der Nibelungenbrücke zu lesen.** Bald verweht, vom Regen weggeschwemmt. Wie viel von der braunen Historie der Brücke will Linz öffentlich machen? (Die Stadt hat ihre NS-Vergangenheit vorbildlich wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Das Wissen wäre in Büchern zugänglich.)

War „in situ“ von poetischer Vergänglichkeit, so konfrontiert brücken:schlag mit konkreter historischer Gewalt. Eine anderthalbstündige Wanderung vom Hauptplatz über die Nibelungenbrücke und retour, „auf Tonspuren durch die Linzer Zeitgeschichte“. Eine Tonspur gibt Auskunft: Dreißig Firmen waren am Bau der Nibelungenbrücke beteiligt. Unter ihnen das SS-eigene Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke, das in Gusen und Mauthausen KZ-Steinbrüche betrieb.

Der brücken:schlag-Pilot wurde am 29. Juni 2015 im Rahmen des Linzer Kepler-Salons präsentiert. Information und Ermunterung zum Dialog, Fragen an die Wandernden: „Was wäre, wenn die Donau vollständig nach den NS-Plänen verbaut worden wäre? Wie sähe es heute hier aus?“ „Was denken Sie, wie haben zivile Bauarbeiter und Passanten auf die Beteiligung der Fremd- und Zwangsarbeiter reagiert?“ Alleine in Urfahr waren rund 500 Wohnungen und Geschäftslokale vom Brückenbau betroffen. Juden wurden zwangsweise enteignet, um im restlichen Stadtgebiet Gebäude für Brückenbaugeschädigte freizubekommen. Exemplarisch führt brücken:schlag die Enteignung der Familie Taussig an: Viktor Taussig, Vorsitzender des Bundes jüdischer Frontkämpfer, eines Vereins der Veteranen des 1. Weltkriegs, besaß das Haus Hauptstraße 63. Es wurde „arisiert“, an die Familie eines Dr. Hain. Die Familie Taussig entkam schließlich in die USA, Ella Taussig hatte außer ihrem Gatten Viktor und den Kindern sämtliche Angehörige im Holocaust verloren. „Welche Handlungsspielräume hatten die beiden Familien? Was wäre gewesen, wenn ein ‚arischer‘ Bürger sich geweigert hätte, jüdischen Besitz als Ersatz zu akzeptieren?“

Interessant auch die Frage: „Warum ist Ihrer Meinung nach heute die mediale Aufmerksamkeit für Kunstrestitution so groß, aber jene für Häuser, Wohnungen und andere geraubte oder abgepresste Besitztümer so gering? Was unterscheidet die Kunst von den anderen Gütern?“ Überschätzte Kunst.

brücken:schlag informiert über Linz-Kunst: Im Zuge des „Sonderauftrag Linz“ wurden beschlagnahmte, angekaufte und geraubte Kunstwerke für das „Führermuseum“ zusammengetragen. Ab 1943 war der Dresdner Kunsthändler Hildebrandt Gurlitt einer der Haupteinkäufer für den Sonderauftrag Linz. Hildebrandt und sein Cousin Wolfgang Gurlitt sahen sich in Frankreich nach Beutekunst um, handelten mit Raub- und „entarteter“ Kunst. Nach Kriegsende, 1946, wurde im Brückenkopfgebäude West die Galerie der Stadt Linz gegründet. Die Basis dafür lieferte die Privatsammlung Wolfgang Gurlitts, die er der Stadt zunächst lieh. Zugleich wurde er zum Leiter der Galerie ernannt, die den Beinamen „Wolfgang-Gurlitt-Museum“ trug. Im Jahr 1956 wurde Gurlitt als Leiter der Galerie abgesetzt, vor allem, weil er seine Interessen als Kunsthändler und Direktor der Galerie nicht sauber trennte. Als auch noch sein Name aus jenem der Galerie verschwinden sollte, klagte Gurlitt die Stadt Linz erfolgreich. Bis 2003, als das Kunstmuseum
Lentos eröffnet wurde, schleppte die Galerie der Stadt Linz den Beinamen „Sammlung Wolfgang Gurlitt“ mit.

Die Frage der Restitutionen wird heute vom Lentos transparent und engagiert gehandhabt. Das dauerte aber in Linz. brücken:schlag nennt als prominentes Beispiel Gustav Klimts Porträt der Ria Munk: Als Direktor der Galerie hatte Gur­litt begonnen, seine Leihgaben der Stadt Linz zu verkaufen. Im Jahr 1952 zweifelte der Magistratsdirektor an der Herkunft des Bildes und vermerkte handschriftlich: „Klimt jüdischer Besitz! Vorbehalt bis Klärung!“ Mehrmals lehnte die Stadt einen Kauf ab, jedoch 1956 erwarb sie das Bild. Gurlitt war vermutlich in Bad Aussee in seinen Besitz gelangt, wo es in der Villa von Aranka Munk, der Mutter der abgebildeten Frau, beschlagnahmt wurde. Aranka Munk wurde 1941 ins Ghetto Lodz deportiert, wo sie bald starb. Die Erben erhielten das Bild 2009 zurückerstattet, mehr als fünfzig Jahre nachdem seine Herkunft erstmals als fragwürdig bezeichnet worden war.

brücken:schlag rührt in Wunden, Linz-Besucher_innen soll offensichtlich mehr als die k.u.k.-Hofbäckerei vermittelt werden. Will das die Stadt? Schmutz: „Diese Frage stelle ich mir nicht. Vielleicht ist das naiv, und wenn man in Kategorien wie Förderungen denkt, ist es das sogar mit Sicherheit. Ich habe dieses Projekt initiiert, weil ich einen Anstoß geben wollte, wie diskursive Geschichtsvermittlung im öffentlichen Raum aussehen könnte. Dankenswerterweise haben alle am Projekt Beteiligten das Risiko der Nicht-Finanzierung mitgetragen.“ Schmutz plädiert für bürgerschaftliches Engagement: „Die noch immer weit verbreitete Forderungen, die Stadt müsse offiziell dieses und jenes tun, ist mir suspekt. Das ist feudal gedacht und läuft dann auch genau darauf hinaus: auf politische Vermarktung und den Anschein von Haltung. Mein Eindruck ist aber, und darauf deutet ja auch die zugehörige Passage im KEP (Linzer Kulturentwicklungsplan, Anm.) hin, dass die Stadt versteht, dass es die Notwendigkeit für solche Angebote zur NS-Geschichte gibt.“

Schmutz hat Erfahrung im Umgang mit, in der Vermittlung von Erinnerungsorten. Der studierte Germanist und Kulturwissenschafter war vier Jahre bis Sommer 2014 an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen tätig, in seinem letzten Jahr als pädagogischer Co-Leiter. Warum er den Job letztendlich hinschmiss, ist eine komplexe Geschichte. Aufschluss gibt Wolfgang Schmutz im Essay „Wo die Republik beginnt und endet. Zum erinnerungspolitischen Rahmen für Vermittlung und Gestaltung an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen“.*** Zuständig für die Gedenkstätte Mauthausen ist das österreichische Innenministerium, und zwar seit 1947 (am Anfang zum Teil gemeinsam mit dem Land OÖ). Frage: Warum nicht das Wissenschaftsministerium? Oder ein internationales Gremium? Schmutz antwortet mit einer heftigen Kritik, er spricht vom „Zynismus einer doppelten Agenda, den österreichischen Opfermythos mit Widerstandsglorifizierungen zu untermauern“. Tiefes Misstrauen gegen institutionalisierte Erinnerungskultur, Schmutz sagt:

„Die Zuständigkeit des BM.I (Innenministerium, Anm.) ist ein historisches Erbe der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ehemalige Funktionshäftlinge waren im Dienst der Staatspolizei und des Innenministeriums mit der Bestandsaufnahme der Verbrechen und der Ausforschung flüchtiger Täter beschäftigt. Bis heute tickt die Gedenkstätte so, und damit ‚österreichisch‘: Das MKÖ (Mauthausen Komitee Österreich, Anm.) hat das Erbe der Widerstandserzählung angetreten, das BM.I sichert die staatliche Deutungshoheit ab, die sich von vorgeblicher Gesamtopferschaft zur Reue gewandelt hat. Der potentielle Erkenntnisgewinn hält sich bei diesen Instrumentalisierungen notgedrungen in Grenzen. Man gesteht sich die jeweiligen Positionen zu und hat sich in diesen auch über die Jahrzehnte angenähert. Es ist eine große Koalition der Geschichtsvereinfachung, von der antifaschistische Gruppierungen und Vertreter_innen der Republik gleichermaßen profitieren. Man erntet Anerkennung, und wenn sie nicht kommt, anerkennt man zumindest die eigene ‚vorzügliche‘ Haltung. Abgesehen davon, dass das gegenüber den Opfern moralisch fragwürdig ist: Mit politischer Gesinnung haben die Verbrechen des Nationalsozialismus und vor allem deren Ausmaß nur begrenzt zu tun.“ Wer sich mit der Thematik vertiefend befassen möchte, dem sei die bereits erwähnte Publikation empfohlen.

*     An brücken:schlag arbeiten neben Wolfgang Schmutz: Christa Memetsheimer, Lisa Maria Neuhuber, Casimir Paltinger, Stephan Rosinger, Thomas Zaglmaier; Gunda Schanderer und Matthias Hack (Audiostimmen), Michael Schweiger (Aufnahme).
**     Eine Ungenauigkeit, vom Autor 2006 mitverantwortet: Granit aus KZ-Produktion wurde verwendet, „wenngleich nur als eine unter vielen Bezugsquellen, und konkret momentan nur für den Sockelbereich des Heinrich-Gleißner-Hauses mit größerer Wahrscheinlichkeit feststellbar“. (vgl. Hermann Raffetseder, „Zwangsarbeit für den Linzer Brückenkopf“, Archiv der Stadt Linz, November 2009)
***     Wolfgang Schmutz: „Wo die Republik beginnt und endet. Zum erinnerungspolitischen Rahmen für Vermittlung und Gestaltung an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen“, Essay. Erschienen bei transcript, Herbst 2015.

 

Der im Text erwähnte Beitrag von Wolfgang Schmutz im Buch „Erinnerungsorte in Bewegung“ wird präsentiert:

Dienstag, 15. März 2016, 19.00, depot (Wien)
Erinnerungsorte in Bewegung
Buchpräsentation und Diskussion

Im Übergang zu einer Erinnerung ohne Zeitzeug_innen werden die Orte nationalsozialistischer Verbrechen für die Vermittlung der NS-Vergangenheit immer wichtiger. Materielle und gestalterische Herausforderungen, die sich für die zukünftige Konzeption von KZ-Gedenkstätten und anderer NS-Erinnerungsorte stellen, sind der gemeinsame Referenzpunkt eines neu erschienen Bandes.

Daniela Allmeier, Rudolf Scheuvens, TU Wien
Brigitta Busch, Universität Wien
Inge Manka, Peter Mörtenböck, TU Wien
Wolfgang Schmutz, Erinnerungspädagoge, Linz
Jörg Skriebeleit, KZ-Gedenkstätte Flossenbürg
Nora Sternfeld, Aalto-Universität Helsinki

Daniela Allmeier, Inge Manka, Peter Mörtenböck, Rudolf Scheuvens (Hg.): Erinnerungsorte in Bewegung. Zur Neugestaltung des Gedenkens an Orten nationalsozialistischer Verbrechen. Transcript Verlag, Bielefeld 2016

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About the author

ist in Linz und gegen die laufende Zerfadisierung der Altstadt.

2 Comments

  1. Ein f genügt beim Zitat zu Rafetseder völlig; die erwähnte Dokumentation von Hermann Rafetseder – „Zwangsarbeit für den Linzer Brückenkopf“ – ist in korrigierter Form übrigens ab 2014 im forum oö geschichte online verfügbar, leicht zu finden über die Suchmaschine des Vertrauens bzw. auf http://www.ooegeschichte.at via „Historische Bibliographie“

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